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Zwischenbilanz: kantonale Parlamentswahlen 2016 und 2017

Werner Seitz
20th Oktober 2017

Der zweitletzte Sonntag im Oktober 2017 bildet die Halbzeit zwischen den Nationalratswahlen 2015 und 2019. In den vergangenen zwei Jahren wurden zwölf Kantonsparlamente neu gewählt. Zeit für eine Zwischenbilanz zu den parteipolitischen Veränderungen in den zwölf Kantonen.

Bilanziert man auf der Basis der gewonnenen und verlorenen Mandate, so ist die grosse Gewinnerin der zwölf kantonalen Parlamentswahlen 2016 und 2017 die FDP, welche – zusammen mit den Basler Liberalen – insgesamt 21 Mandate zulegte. Ihr folgen die Grünen mit 14 und die SP mit 3 Mandatsgewinnen. Grosse Verliererinnen sind die CVP (-24) sowie die BDP (-8). Erstmals seit Längerem weist auch die SVP insgesamt einen Rückgang an Mandaten aus (-4). Die GLP stagnierte per Saldo.

Ein Blick zurück auf die Nationalratswahlen 2015
Aus den Nationalratswahlen gingen zwei Siegerinnen hervor: Die SVP, welche die zwischenzeitlichen Verluste von 2011 wieder wettmachte, und die FDP, die erstmals seit 1979 wieder an Stimmen und Mandaten zulegte. Die SP konnte ihren Stimmenanteil halten. Auf der Verliererseite standen, wie schon 2011, die Grünen sowie die beiden Mitteparteien GLP und BDP, welche bei den eidgenössischen Wahlen 2011 noch als die grossen Wahlsiegerinnen gefeiert wurden. Bei der CVP hielten die Stimmenverluste der letzten Jahrzehnte weiter an. Damit setzte sich der seit den 1990er-Jahren anhaltende Trend der Umgruppierung des bürgerlichen Lagers nach rechts weiter fort, nachdem er 2011 mit den Wahlsiegen der neuen Mitteparteien GLP und BDP vorübergehend gestoppt worden war.

SVP setzt Siegeszug in der Ostschweiz fort, kommt in der Romandie aber ins Stolpern

Bei den zwölf kantonalen Parlamentswahlen von 2016 und 2017 steigerte sich die SVP in den meisten ehemaligen Hochburgen der CVP mandatsmässig (UR: +1, SG: +5; VS: +2). Sie legte auch in weiteren Kantonen der Ostschweiz zu (SH: +1, TG: +3) stagnierte jedoch mandatsmässig in Freiburg, in Basel-Stadt und im Aargau. In Freiburg ist die Entwicklung insofern interessant, als dieser Kanton historisch ebenfalls zu den Stammlanden der CVP zählt, in denen die SVP bislang zu punkten vermochte. Im Herbst 2016 legten dort jedoch die FDP und die Grünen zu.

Quelle: BFS

In der Romandie wurde der langjährige Vormarsch der SVP gestoppt und teilweise brutal gewendet. In der Waadt, wo die SVP auf eine lange Tradition zurückblicken kann, büsste sie zwei Mandate ein und in Neuenburg, wo sie erst vor einem guten Jahrzehnt gegründet wurde, brach sie regelrecht ein (-11). Zusammen mit den Verlusten in Schwyz (-2) und Solothurn (-1) führt dies für die SVP zu einer negativen Gesamtbilanz bei den zwölf kantonalen Parlamentswahlen von vier Mandatsverlusten. In Schwyz dürfte neben einem leichten Verlust an Parteistärke auch der Wechsel des Mandatverteilungsverfahrens zum «doppelten Pukelsheim», das die grossen Parteien nicht mehr bevorzugt, eine Rolle gespielt haben.

Die SVP ist, wie schon vor vier Jahren, in fünf der zwölf neu gewählten Kantonsparlamenten die stärkste Partei: in Schwyz, Schaffhausen, St. Gallen, Aargau und Thurgau. 

FDP legt flächendeckend zu

Nach jahrzehntelangen Verlusten ist die FDP seit drei Jahren wieder auf der Siegerstrasse. Sie gewann Mandate in den ehemaligen CVP-Hochburgen Uri (+3), Freiburg (+4) und St. Gallen (+4) und konnte auch in der Romandie gross punkten, wo die SVP abstürzte: In Neuenburg steigerte sie sich um acht Mandate, in der Waadt um zwei und in Freiburg, wie schon erwähnt, um vier Mandate. Im Thurgau holte sie zwei Mandate. Werden in Basel-Stadt, wo die FDP zwei Mandate einbüsste, die Liberalen zur FDP gerechnet, so hat die FDP dort ebenfalls zwei Mandate zugelegt (die Basler Liberalen gehören national zur FDP, in Basel aber sind sie autonom).

Quelle: BFS

In Solothurn und im Aargau stagnierte die FDP, während sie in Schaffhausen ein Mandat einbüsste. In Schwyz und im Wallis verlor die FDP ein bzw. zwei Mandate. Die FDP ist in drei der zwölf neu bestellten Kantonsparlamenten stärkste Partei (SO, VD, NE). In der Waadt konnte sie die SP als stärkste Kraft ablösen.

CVP ist weiterhin auf der Verliererstrasse

Von einer Trendwende, wie sie die FDP zurzeit erlebt, kann die CVP, deren elektoraler Abstieg gleichzeitig mit der FDP Anfang der 1980er-Jahre begann, nur träumen. Die CVP verlor 2016 und 2017 in elf der zwölf kantonalen Parlamentswahlen Mandate. In ihren Stammlanden und ihren ehemaligen Hochburgen büsste sie insgesamt 18 Mandate ein (UR: -1, SZ: -2, FR: -4, SO: -2, SG: -3, VS: -6). Das Ausmass der Verluste der CVP im Wallis kann auch mit dem Wechsel zum System des «doppelten Pukelsheims» erklärt werden, das die grossen Parteien nicht mehr bevorzugt. Sieben weitere Mandate verlor die CVP in Basel-Stadt (-1), in Schaffhausen (-1), im Aargau (-2), im Thurgau (-1) sowie in der Waadt (-2). Nur gerade in Neuenburg gewann sie ein Mandat. In diesem reformierten Kanton verfügt sie allerdings nur gerade über zwei Parlamentsmandate.

Quelle: BFS

Die CVP ist noch in zwei der zwölf Kantone stärkste Partei: in Uri und im Wallis. In ihrer ehemaligen Hochburg Freiburg musste sie den Titel als mandatsstärkste Kraft im Parlament an die SP abtreten. Ende der 1970er-Jahre hatte die CVP noch in vier Kantonen die absolute Mehrheit inne (UR, SZ, SG, VS) und war in Freiburg die mit Abstand stärkste Partei.

BDP befindet sich im freien Fall

Besonders dramatisch ist die Bilanz der BDP in der "Nach-Widmer-Schlumpf"-Ära. Die Partei hatte in fünf kantonalen Parlamenten insgesamt 17 Mandate zu verteidigen, was ihr schlecht gelang: Nur gerade in Solothurn konnte sie ihre beiden Mandate halten. In Freiburg, St. Gallen, Aargau und Thurgau verlor sie dagegen je zwei Mandate, wodurch ihre Vertretung in den kantonalen Parlamenten 2016/17 mehr als halbiert wurde (auf sieben). In St. Gallen und Freiburg fiel die BDP gar aus dem Parlament.

SP gewinnt im Mittelland

Durchzogen ist die Bilanz der SP, welche in der Innerschweiz und in der Ostschweiz per Saldo stagnierte. Sie gewann in Schwyz drei Mandate (wegen dem "doppelten Pukelsheim") und büsste eines in Uri ein und zwei im Thurgau. In St. Gallen vermochte sie ihre Mandate zu halten.

Grosse Gewinne verzeichnete die SP dagegen im Mittelland: Im Aargau legte sie fünf Mandate zu und in Solothurn vier. In Basel-Stadt steigerte sie sich um ein Mandat. Negativ ist die Bilanz der SP in der Romandie, wo die Grünen stark punkteten: In Freiburg, im Wallis und in Neuenburg büsste die SP je ein Mandat ein und in der Waadt gar vier. Die SP verfügt in Basel-Stadt seit Jahren über die meisten Parlamentsmandate und neu - knapp - auch in Freiburg. In der Waadt dagegen musste sie die Spitzenposition im Parlament an die FDP abtreten.

Die Grünen punkten im Westen

Wie die SP schnitten auch die Grünen bei den Wahlen in der Innerschweiz und der Ostschweiz mässig ab: Sie verloren in Uri ein Mandat und stagnierten bei den übrigen Wahlen (SZ, SG, TG). Keine Veränderungen gab es für die Grünen auch bei den Wahlen in Solothurn und im Aargau. In Schaffhausen büssten sie – im Zuge personeller Wechsel zur GLP – gar zwei Mandate ein.

In der Westschweiz aber vermochten die Grünen derart zu punkten, dass sie schliesslich hinter der FDP zweite Sieger dieser Halbzeitbilanz sind. Sie legten in Basel-Stadt (+1) zu, in Freiburg (+3), im Wallis (+6) sowie in der Waadt (+2) und in Neuenburg (+5). Die Mandatsgewinne im Wallis sind nicht nur auf den Sitzverteilungsmodus nach Pukelsheim zurückzuführen, der die kleinen Parteien besser zu ihrem Recht kommen lässt. Sie basieren auch auf einer Steigerung der Parteistärke der Grünen von 3,3 auf 6,9 Prozent.

GLP hält Mandatszahl

Die GLP, mit der BDP die Durchstarterin von 2011, büsste in fünf Kantonen je ein Mandat ein (FR, SO, AG, BS, NE) und in St. Gallen drei. Die Mandatsverluste konnten mit Gewinnen im Thurgau (+1), in Schwyz (+3) und in Schaffhausen (+4) kompensiert werden. In den beiden letzteren Kantonen war die GLP erstmals zu den Wahlen angetreten.

Klare bürgerliche Hegemonie in den Kantonsparlamenten

In vier der zwölf Kantone, in denen 2016 und 2017 Parlamentswahlen stattfanden, verfügen SVP und FDP neu über die absolute Mehrheit der Sitze (in SZ, SH sowie, neu, in UR und SG). In den Kantonen Aargau, Thurgau und Waadt haben SVP und FDP zusammen rund 48 bis 49 Prozent der Mandate inne.

Wird auch die CVP zu FDP und SVP gezählt, so beträgt der Anteil der Mandate der drei (rechts-)bürgerlichen Parteien in neun der zwölf Parlamente zwischen sechzig (AG) und 85 Prozent (UR). Über eine kleinere Mehrheit verfügen sie in Schaffhausen (55%) und in der Waadt (51%). Nur gerade in Basel-Stadt sind die (Rechts-)Bürgerlichen in der Minderheit.

 Veränderung der politischen Kultur

Die grosse Veränderung der Parteienlandschaft, in der sich auch eine Veränderung der politischen Kultur zeigt, ist auf die Erosion der CVP in ihren Stammlanden und Hochburgen zurückzuführen, von der in fast allen Fällen die SVP profitierte. Dieser Prozess begann im letzten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts und hing mit dem Prozess der Modernisierung und Säkularisierung der Gesellschaft zusammen, der ab den 1960er-Jahren auch die Schweiz erfasste und unter anderem zur Auflösung des katholischen Milieus führte (Seitz 2014: 83 ff.). Die CVP versuchte diesen Prozess mitzugestalten und leitete eine Transformation von der traditionellen Partei des katholischen Milieus (Katholisch-Konservative) zur modernen christlichdemokratischen Volkspartei ein. In den 1980er-Jahren wurde offensichtlich, dass die CVP-Verluste bei den Wählenden in den Stammlanden und den CVP-Hochburgen nicht mit dem Erschliessen neuer Wählerschichten wettgemacht werden konnten. Ab den 1990er-Jahren akzentuierten sich die Verluste der CVP im Zuge der Globalisierung und der heftigen Diskussionen über die Öffnung der Schweiz gegenüber Europa, welcher die CVP positiv gegenüberstand. Dies vermochte die nationalkonservative SVP mit ihrer dezidiert öffnungskritischen und auf alte Mythen referenzierenden Position auszunützen. Es gelang ihr, als reformierte Partei in den katholischen Stammlanden und Hochburgen Platz zu nehmen und der CVP die Hegemonie streitig zu machen.

 SVP bedrängt und beerbt CVP in ihren ehemaligen Hochburgen

Die grossen Verluste der CVP zeigen sich deutlich beim Vergleich der aktuellen Parteistärke (Stimmenanteil) mit jener Ende der 1970er Jahre in den zwölf Kantonen, von denen hier die Rede ist: In St. Gallen, Freiburg, Schwyz und im Wallis verlor die CVP zwischen 18,4 (VS) und 25,2 (SG) Prozentpunkten Parteistärke. In diesen CVP-Hochburgen nahm die SVP unübersehbar Platz: In Schwyz und St. Gallen verdrängte sie die CVP als stärkste Partei (mit 33,1% bzw. 29,5%), im Wallis kam die SVP auf 16,4 Prozent, in Freiburg auf 19,7 Prozent. In Uri, das in den 1970er-Jahren noch nach dem Majorz-System wählte, müssen für einen Vergleich die Mandatsanteile verglichen werden: Die CVP brach von 64 Prozent Mandatsanteil auf 34 Prozent ein, während die SVP auf 23 Prozent Mandatsanteil kam.

Der Aufstieg der SVP ging auch zu Lasten der FDP, wenn auch weniger stark als bei der CVP. Namentlich in Solothurn, wo die SVP heute eine Parteistärke von 19,7 Prozent hat, verloren die FDP - im Vergleich zu den Wahlen Ende der 1970er Jahre - 19 Prozentpunkte und die CVP 9,9 Prozentpunkte.

Starke Linke in den Westschweizer Kantonen

Die geschilderten parteipolitischen Veränderungen in den zwölf Kantonen betrafen vor allem die (rechts-)bürgerlichen Parteien CVP, FDP und SVP. Die SP hatte in den CVP-Stammlanden und auch etwa im Kulturkampfkanton St. Gallen seit jeher einen schweren Stand. Gleichwohl vermochte in den letzten vierzig Jahren die Linke (SP und Grüne) in zehn der zwölf Kantone ihre Parteistärke zum Teil beträchtlich zu steigern.

Der urbane Kanton Basel-Stadt nimmt mit seinem politischen Verhalten eine besondere Stellung ein. Zwar gehört er zur deutschsprachigen Schweiz, hinsichtlich Stimm- und Wahlverhalten folgt er jedoch vielfach den gleichen Mustern wie die Romandie, (was übrigens auch für die beiden anderen deutschsprachigen Grossstädte Zürich und Bern gilt). Dies zeigt sich darin, dass die politische Linke seit dem frühen zwanzigsten Jahrhundert mindestens so stark ist wie die bürgerlichen Parteien zusammen und dass es neben der SP immer schon eine starke äussere Linke gibt. Früher waren dies die Kommunisten, heute sind es die linken Grünen. Hartes Brot essen muss in Basel-Stadt die SVP. Zwar hat sie es mittlerweile auf eine Parteistärke von 14 Prozent gebracht, im Vergleich zur Verankerung der SVP in den übrigen Kantonen ist sie hier aber sehr unterdurchschnittlich vertreten.

Die kantonalen Parlamentswahlen 2016-2017
Die ersten kantonalen Parlamentswahlen nach den letzten Nationalratswahlen 2015 fanden im Frühling 2016 in der Ost- und Zentralschweiz (SG, TG und UR, SZ) statt. Bei diesen setzte sich der Trend der Nationalratswahlen 2015 – der Rechtsrutschfort. SVP und FDP vermochten ihren guten Lauf beizubehalten und gewannen insgesamt sieben bzw. acht Mandate. Dagegen konnten CVP und BDP, zwei Verliererinnen der Nationalratswahlen, das Steuer nicht herumreissen: Sie verloren insgesamt sieben bzw. vier Mandate. Die SP stagnierte, die Grünen verloren ein Mandat und die GLP legte eines zu.

Etwas anders präsentieren sich die Ergebnisse der Parlamentswahlen im Herbst 2016 in den Kantonen Freiburg, Basel-Stadt, Schaffhausen und Aargau. Die SVP konnte ihre Mandatszahl nur noch leicht steigern (+1), während sich SP und Grüne auf der Siegerseite fanden (+5 bzw. +2 Mandate). Wie bei den Nationalratswahlen 2015 gewann die FDP – zusammen mit den Basler Liberalen – weitere Mandate hinzu (+5), während der Krebsgang von CVP und BDP anhielt (-8 bzw. -4 Mandate). Die GLP steigerte sich um ein Mandat.

Bei den kantonalen Wahlen im Frühling 2017 in Solothurn und in der Romandie (VD, VS, NE) geriet die SVP gänzlich auf die Verliererstrasse (-12) und die Grünen avancierten seit Längerem wieder zu den strahlenden Siegern (+13 Mandate). Der Aufstieg der FDP hielt unvermindert an (+8), ebenso die Verluste der CVP (-9). Die SP büsste zwei Mandate ein, ebenso die GLP.


Literatur
  • Bundesamt für Statistik. Nationalratswahlen 2015: Der Wandel der Parteienlandschaft seit 1971. Elektronische Publikation, Bundesamt für Statistik 2015.
  • Klöti, Ulrich. «Kantonale Parteiensysteme – Bedeutung des kantonalen Kontexts für die Positionierung der Parteien», in Kriesi, Hanspeter / Linder, Wolf / Klöti, Ulrich (Hg.). Schweizer Wahlen 1995 (selects – swiss electoral studies), Bern 1998: Verlag Paul Haupt, S. 45–72.
  • Ladner, Andreas. Kantonale Parteiensysteme im Wandel. Eine Studie mit Daten der Wahlen in den Nationalrat und in die kantonalen Parlamente 1971–2003. Bundesamt für Statistik (Hg.), Neuchâtel 2003.
  • Seitz, Werner. Geschichte der politischen Gräben in der Schweiz. Eine Darstellung anhand der eidgenössischen Wahl- und Abstimmungsergebnisse von 1848 bis 2012. Zürich/Chur 2014: Rüegger Verlag.

 

Bild: Wikimedia Commons