Angst vor steigenden Preisen bringt Fair-Food-Initiative zu Fall

Ergebnisse der VOTO-Studie zur eidgenössischen Volksabstimmung vom 23. September 2018

VOTO

Die Fair-Food-Initia­ti­ve wur­de abge­lehnt, obwohl eine deut­li­che Mehr­heit der Stim­men­den die Kern­an­lie­gen der Vor­la­ge unter­stütz­te. Zu Fall brach­ten die Initia­ti­ve die Sor­ge vor stei­gen­den Lebens­mit­tel­prei­sen und Zwei­fel an ihrer Prak­ti­ka­bi­li­tät. Die Volks­in­itia­ti­ve für Ernäh­rungs­sou­ve­rä­ni­tät stand im Schat­ten der Fair-Food-Initia­ti­ve und wur­de durch­schnitt­lich als weni­ger wich­tig emp­fun­den. So ori­en­tier­ten sich vie­le Stim­men­de bei ihrem Ent­scheid an der Fair-Food-Initia­ti­ve. Der­weil war das Ja zum Velo­beschluss ein kla­res Bekennt­nis zur Velo­för­de­rung. Dies zeigt die Ana­ly­se der Befra­gung von 1’502 Stimm­be­rech­tig­ten im Rah­men der VOTO-Stu­die zur eid­ge­nös­si­schen Abstim­mung vom 23. Sep­tem­ber 2018. Die Stu­die wur­de von FORS, dem ZDA und dem Befra­gungs­in­sti­tut LINK durch­ge­führt und von der Bun­des­kanz­lei finanziert.

Deutliche Mehrheit für Kernanliegen der Fair-Food-Initiative

Obwohl die Fair-Food-Initia­ti­ve deut­lich schei­ter­te, sties­sen die Kern­an­lie­gen der Vor­la­ge bei den Stim­men­den auf über­aus gros­sen Zuspruch. Ins­ge­samt unter­stütz­ten mehr als drei Vier­tel aller Befrag­ten die For­de­run­gen, dass das Ange­bot an regio­nal pro­du­zier­ten Lebens­mit­teln ver­grös­sert wer­den soll und dass für land­wirt­schaft­li­che Import­pro­duk­te die glei­chen sozia­len und öko­lo­gi­schen Anfor­de­run­gen gel­ten müs­sen wie für Lebens­mit­tel aus Schwei­zer Pro­duk­ti­on. 71 Pro­zent spra­chen sich zudem für ein Ver­bot von Fleisch und Eiern aus Mas­sen­tier­hal­tung aus. Die­se Anlie­gen fan­den nicht nur ins­ge­samt eine Mehr­heit, son­dern sogar unter den­je­ni­gen, die am 23. Sep­tem­ber 2018 ein Nein zur Fair-Food-Initia­ti­ve ein­leg­ten. Die Volks­in­itia­ti­ve schei­ter­te jedoch des­halb, weil bei den Stim­men­den die Sor­ge vor stei­gen­den Lebens­mit­tel­prei­sen und Zwei­fel an ihrer Prak­ti­ka­bi­li­tät über­wo­gen. Die Angst vor stei­gen­den Prei­sen war unter den Nein-Stim­men­den der meist­ge­nann­te Ablehnungsgrund.

Unter den Befür­wor­ten­den der Fair-Food-Initia­ti­ve wur­den am häu­figs­ten umwelt­po­li­ti­sche Moti­ve als Begrün­dung der Annah­me genannt. Dabei wur­de vor allem der Wunsch nach mehr umwelt­freund­lich pro­du­zier­ten Lebens­mit­teln geäus­sert. Gross­mehr­heit­lich ange­nom­men wur­de die Fair-Food-Initia­ti­ve von Sym­pa­thi­sie­ren­den der Grü­nen (83%) und der SP (65%). Die Anhän­ger­schaf­ten der CVP, SVP und FDP lehn­ten sie dage­gen mit Nein-Stim­men­an­tei­len zwi­schen 78 und 87 Pro­zent wuch­tig ab. Gespal­ten waren ihrer­seits die Anhän­ge­rin­nen und Anhän­ger der Grün­li­be­ra­len, die das Volks­be­geh­ren immer­hin zu 42 Pro­zent unterstützten.

Volksinitiative für Ernährungssouveränität im Schatten von Fair-Food

Die Initia­ti­ve für Ernäh­rungs­sou­ve­rä­ni­tät stand im Schat­ten der Fair-Food-Initia­ti­ve. Die Stim­men­den mas­sen ihr nicht nur eine gerin­ge­re Bedeu­tung bei, son­dern waren auch schlech­ter dar­über infor­miert. Bei­na­he neun von zehn Bür­ge­rin­nen und Bür­gern stimm­ten iden­tisch wie bei der Fair-Food-Initia­ti­ve (89%). Dass die Stimm­bür­ger­schaft bei die­sen Vor­la­gen wenig dif­fe­ren­zier­te, zeig­te sich auch bei den Ent­scheid­grün­den. Obwohl die bei­den Volks­in­itia­ti­ven nicht deckungs­gleich waren, äus­ser­te ein Vier­tel der­je­ni­gen Per­so­nen, die gleich abstimm­ten, den­sel­ben Haupt­grund zur Annah­me bzw. Ableh­nung. Eine(r) von fünf Stim­men­den ver­moch­te den Stimm­ent­scheid zur Ernäh­rungs­in­itia­ti­ve nicht zu begrün­den. Dies war weit mehr als bei den ande­ren bei­den Vorlagen.

Wie bei der Fair-Food-Initia­ti­ve trat auch bei der Ernäh­rungs­sou­ve­rä­ni­tät ein tie­fer sprach­re­gio­na­ler Gra­ben zuta­ge. Die höhe­re Zustim­mung in der fran­zö­sisch- und ita­lie­nisch­spra­chi­gen Schweiz lässt sich mit ent­ge­gen­ge­setz­ten Vor­stel­lun­gen zur Rol­le des Staa­tes in der Land­wirt­schafts­po­li­tik erklä­ren. In der Roman­die und in der ita­lie­nisch­spra­chi­gen Schweiz spra­chen sich 79 Pro­zent der Befrag­ten für das Argu­ment aus, wonach der Bund der Land­wirt­schaft stär­ker unter die Arme grei­fen müs­se. In der Deutsch­schweiz erklär­ten sich hin­ge­gen weni­ger als halb so vie­le damit einverstanden.

Deut­lich war die Ableh­nung der Ernäh­rungs­sou­ve­rä­ni­tät im bür­ger­li­chen Lager: Mit 92 Pro­zent ver­war­fen die FDP-Sym­pa­thi­sie­ren­den das Anlie­gen am wuch­tigs­ten. Die Anhän­ger­schaft der SP war hin­ge­gen gespal­ten: Trotz Ja-Paro­le der Par­tei stimm­ten nur 55 Pro­zent der Initia­ti­ve für Ernäh­rungs­sou­ve­rä­ni­tät zu. Eine kla­re Mehr­heit erreich­te das Volks­be­geh­ren ein­zig bei den Grü­nen mit 71 Prozent.

Beim Velobeschluss spielten Eigeninteressen mit

Der Velo­beschluss erziel­te in allen Bevöl­ke­rungs­schich­ten eine kom­for­ta­ble Mehr­heit. Nur die Anhän­ger­schaft der SVP war gespal­ten. Für die Befür­wor­ten­den war die Velo­för­de­rung das wich­tigs­te Motiv. Auch Eigen­in­ter­es­sen spiel­ten eine Rol­le. Die Häu­fig­keit der Velo­nut­zung wirk­te sich posi­tiv auf die Zustim­mungs­wahr­schein­lich­keit aus. Per­so­nen, die täg­lich mit dem Velo unter­wegs sind, spra­chen sich geschlos­sen für die Vor­la­ge aus. Dem­ge­gen­über war die Ableh­nung Aus­druck von ver­fas­sungs­recht­li­chen Beden­ken und einer Kri­tik an der Velo­för­de­rung. Bemer­kens­wer­ter­wei­se begrün­de­te ein Vier­tel der Nein-Stim­men­den ihren Ent­scheid mit einem Unbe­ha­gen gegen­über den Velo­fah­ren­den. Die­se sei­en rück­sichts­los, igno­rier­ten Ver­kehrs­re­geln und wür­den gegen­über den Auto­fah­ren­den bevorteilt.


Refe­renz:

Anke Tresch, Lau­rent Bern­hard, Lukas Laue­ner und Lau­ra Scaper­rot­ta (2018). VOTO-Stu­die zur eid­ge­nös­si­schen Volks­ab­stim­mung vom 23. Sep­tem­ber 2018. FORS, ZDA, LINK: Lausanne/Aarau/Luzern.

 

Für Fra­gen zur Stu­die: Dr. Anke Tresch, 076 459 49 39, ankedaniela.tresch@unil.ch.

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