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Die politische Bedeutung von Volksinitiative und Referendum im Kanton Aargau

Daniel Kübler
1st April 2019

Im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhundert wirkten die Volksrechte strukturverändernd auf die Ausgestaltung der Demokratie im Kanton Aargau. Ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts spielten sie eine Rolle beim Fine-Tuning der Konkordanz.

Aarauer Demokratietage

Die Volksrechte im Kanton Aargau heute

Die Volksrechte sind in der Kantonsverfassung von 2003 unter Paragraph 62 und 63 geregelt. Die Möglichkeit, eine Initiative oder ein Referendum zu ergreifen, wurde in der der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eingeführt. Das 1869 eingeführte obligatorische Gesetzesreferendum führte in der Folge zu vielen Abstimmungen. Mit der Demokratiereform von 2003 wurde das fakultative Referendum für Gesetzesvorlagen eingeführt, die im Grossen Rat unbestritten sind – mit dem Ziel, die Volksabstimmungen über unbestrittene Vorlagen zu reduzieren.

Der Gebrauch der Volksrechte seit 1891

Langfristig betrachtet hat der Gebrauch der Volksrechte im Kanton Aargau zugenommen. Die Ausweitung der Volksrechte Ende des 19. Jahrhunderts und die Änderungen von Wahlverfahren zu Beginn 20. Jahrhunderts können als Erklärung dafür dienen. Die direkte Demokratie wird zur Ausgestaltung der kantonalen Demokratien genutzt.

Anfänglich kamen vor allem Vorlagen zur Staatsordnung und zur Demokratie vor's Volk, zum Beispiel die Einführung des Proporzverfahren für die Wahl des Grossen Rates im Jahr 1921. Im 20. Jahrhundert standen immer mehr Abstimmungen über Finanzen und Steuern an sowie Vorlagen aus dem Sozial- und Gesundheitswesen. Im Zentrum stand die Frage der Ressourcenverteilung. Gegen Ende es 20. Jahrhunderts betrafen viele Abstimmungen ökologische Themen.

Abbildung 1: Kanton Aargau - Anzahl Abstimmungen pro Dekade (1891-2018)
Quelle: c2d-ZDA, Föllmi et al.

 

Die Stimmbeteiligung ging über die lange Frist betrachtet zurück. Der markante Einschnitt 1971 kann mit der Einführung des Frauenstimmrechts sowie der Abschaffung der allgemeinen Wahl- und Stimmpflicht erklärt werden.

Abbildung 2: Kanton Aargau - Mittlere Stimmbeteiligung pro Dekade (1891-2018)
Quelle: c2d-ZDA, Föllmi et al.
Fazit: Die politische Bedeutung der Volksrechte

Insgesamt hat der Gebrauch der Volksreicht über die Zeit zugenommen. Die Demokratiereform im Jahr 2003 hat zur Folge, dass weniger Referenden, dafür mehr Initiativen vors Volk kommen.

Der intensive Gebrauch von Volksrechten zieht gemäss Vatter (2002: 339) strukturverändernde und erweiternde Konkordanzwirkungen nach sich. Das Veto- und Blockierungspotenzial durch nicht in der Regierung vertretene Gruppierungen führt zu einem Konkordanzzwang.

Ganz allgemein dienen fakultative und obligatorische Referenden sowie Volksinitiativen als «kompensatorische ‘power-sharing’ Instrumente für ungenügend integrierte, aber organisations- und konkfliktfähige Minderheiten». Je unperfekter ein Konkordanzsystem ist, desto eher werden fakultative Referenden und Volksinitiativen eingesetzt.


Quellen

  • «Der Grosse Rat in den Jahren 1920/21», Beiträge zur Aargauer Geschichte 15(2006): 123-143.
  • Föllmi, Reto et al. Compulsory Voting, SNF-Projekt Nr. 141317, 2013-2015
  • Vatter, Adrian. 2002. Kantonale Demokratien im Vergleich: Entstehungsgründe, Interaktionen und Wirkungen politischer Institutionen in den Schweizer Kantonen, Forschung Politikwissenschaft. Opladen: Leske + Budrich.