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Wie das Volk zum Rahmenabkommen steht

Stefanie Walter
8th Juni 2019

Der Bundesrat hat bekannt gegeben, dass er den Rahmenvertrag mit der EU vorerst nicht unterzeichnen wird. Dafür verlangt er eine Klärung in drei Punkten, namentlich beim Lohnschutz, den staatlichen Beihilfen und der Unionsbürgerrichtlinie. In einer allfälligen Abstimmung hätte das Rahmenabkommen in der Bevölkerung hingegen durchaus Chancen gehabt, angenommen zu werden, wie meine Analysen zeigen.

Fast die Hälfte der Befragten, nämlich 48 Prozent, gaben im Frühjahr 2019 an, dem Rahmenabkommen eher oder sicher zuzustimmen, 44 Prozent der Befragten würden es eher oder bestimmt ablehnen (Abbildung 1).

Abbildung 1: Stimmabsicht bei einem Referendum über das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU
Hinweis: Wenn die Personen, die angaben, mit Sicherheit nicht abstimmen zu wollen, aus der Analyse ausgeschlossen werden, erhöht sich der Anteil derjenigen, die dem Rahmenabkommen zustimmen würden, auf 52 Prozent und derjenige, der es sicher ablehnen würden, auf 48 Prozent. 
Wie sind die einzelnen Parteiwählerschaften positioniert?
Betrachtet man die Stimmabsichten nach Parteizugehörigkeit, zeigt sich bei den Wählerinnen und Wählern der GLP, der SP und der BDP mit über siebzig Prozent Zustimmung eine breite Unterstützung für das Rahmenabkommen. Dies überrascht insofern in Bezug auf die SP, deren Exponenten sich in den vergangenen Monaten gemeinsam mit den Gewerkschaften dem Rahmenabkommen gegenüber eher kritisch positioniert hatten.
 
Auch die Wählerschaft der FDP, der CVP und der Grünen ist dem Rahmenabkommen gegenüber positiv eingestellt, über sechzig Prozent der jeweiligen Anhängerschaften würden ihm zustimmen.
 
Ganz im Sinne der Parteileitung würden die Wählerinnen und Wähler der SVP das Rahmenabkommen hingegen deutlich ablehnen, drei von vier SVP-Wählenden sprechen sich dagegen aus. Auch Wählende anderer, kleiner Parteien stehen dem Rahmenabkommen skeptisch gegenüber.
 Abbildung 2: Stimmabsicht Rahmenabkommen

Einschätzung der Nachverhandlungen
Die EU hat umfassende Nachverhandlungen des aktuellen Rahmenabkommens ausgeschlossen und gewarnt, dass die Schweiz bei allfälligen Neuverhandlungen auf keine besseren Bedingungen hoffen dürfe. Das Risiko, dass es bei einem Scheitern und allfälligen Neuverhandlungen zu einem für die Schweiz schlechteren Ergebnis kommen könnte, schätzt die Mehrheit der Befragten dennoch als gering ein.
 
Nur ein gutes Drittel denkt, dass die EU bei solchen Neuverhandlungen viel weniger (8%) oder etwas weniger (26%) Zugeständnisse machen würde als bisher. 40 Prozent der Befragten erwarten etwa dieselben Zugeständnisse und ein Viertel ist optimistisch, dass die EU in diesem Fall etwas (22%) oder viel mehr (3%) Zugeständnisse machen würde.
 
Doch es zeigen sich auch in dieser Frage Unterschiede zwischen den einzelnen Parteianhängerschaften (Abbildung 3).
Abbildung 3: Einschätzung der Nachverhandlungen

Die Parteiwählerinnen und -wähler der SVP schätzen die Situation am optimistischsten ein. Ein Drittel geht davon aus, dass die EU der Schweiz im Fall von Nachverhandlungen noch mehr entgegenkommt, ein Drittel geht von ungefähr gleichen Zugeständnissen aus und nur knapp ein Drittel erwartet eine Verschlechterung. Aber auch bei den Grünen und der FDP sind über ein Fünftel der Wählerinnen und Wähler optimistisch, dass die EU weiter auf die Schweiz zugehen würde.

Dagegen geht vor allem die Anhängerschaft der GLP, aber auch die der CVP von einer deutlich geringeren Bereitschaft der EU aus, weitere Zugeständnissen an die Schweiz zu machen. 

Zudem zeigt sich, dass Befragte, welche die zu erwartbaren Zugeständnisse der EU in der Tendenz pessimistisch einschätzen, eher bereit sind, dem Rahmenabkommen in der jetzigen Form zuzustimmen (Abbildung 4).

Interessant ist in diesem Kontext auch, dass die Bereitschaft, dem Rahmenabkommen zuzustimmen, nach dem Brexit-Chaos von Anfang April bei den Befragten in der Schweiz deutlich gestiegen ist. Die unverrückte Position der EU während der Brexit-Verhandlungen scheint auch in der Schweiz als Signal für eine harte Verhandlungshaltung der EU verstanden zu werden.

Abbildung 4: Erwartete Zugeständnisse der EU und Stimmabsicht Rahmenabkommen
 Klares Fazit

Insgesamt zeigen die Auswertungen, dass das Rahmenabkommen bei einer allfälligen Volksabstimmung nicht chancenlos wäre. 

Angesichts der unterschiedlichen Erwartungen über die Bereitschaft der EU, weitere Zugeständnisse an die Schweiz zu machen, ist die Reaktion der EU auf den Entscheid des Bundesrates nun von besonderem Interesse. 

Daten und Methoden
Die hier präsentierten Auswertungen beruhen auf einer repräsentativen Stichprobe von 2'489 Schweizer Stimmberechtigten. Die Befragung wurde an der Universität Zürich von Prof. Dr. Stefanie Walter konzipiert und von infratest dimap im Frühjahr 2019 in zwei Wellen (13-29. März 2019 und 12-18. April 2019) durchgeführt.


Bild: Wikimedia Commons