Optimierte schulische Einzugsgebiete für mehr Chancengerechtigkeit in Schweizer Städten

Die Zusam­men­set­zung von Schu­len spie­gelt die sozia­le und eth­ni­sche Ungleich­ver­tei­lung in den Quar­tie­ren eins zu eins. Um Chan­cen­ge­rech­tig­keit bereits in frü­hen Jah­ren zu ermög­li­chen, sind stär­ker durch­misch­te Schu­len nötig. Je nach Quar­tier kön­nen bereits klein­räu­mi­ge Anpas­sun­gen an den Gren­zen der Ein­zugs­ge­bie­te die Durch­mi­schung ver­bes­sern. Der ent­wi­ckel­te Algo­rith­mus kann dabei hel­fen. Dies bestä­tigt die Fol­ge­stu­die des Zen­trums für Demo­kra­tie Aar­au (ZDA), die die 2019 erstell­te Pilot­stu­die zur Stadt Zürich um fünf wei­te­re Städ­te ergänzt.

In kei­nem OECD-Land wirkt sich die Zusam­men­set­zung der Schu­len nach sozia­ler und sprach­li­cher Her­kunft so stark auf die Schul­leis­tung der ein­zel­nen Schü­le­rin­nen und Schü­ler aus wie in der Schweiz. Ein erfolg­rei­cher Bil­dungs­weg und gute beruf­li­che Vor­aus­set­zun­gen hän­gen – zumin­dest teil­wei­se – davon ab, in wel­chem Schul­haus jemand zur Schu­le geht. Die­ser Umstand gefähr­det die Chan­cen­ge­rech­tig­keit – ins­be­son­de­re bei Schü­le­rin­nen und Schü­lern aus Quar­tie­ren mit hohem Anteil von migran­ti­schen und sozi­al schwä­che­ren Fami­li­en. Um Chan­cen­ge­rech­tig­keit her­zu­stel­len, wäre eine stär­ke­re Durch­mi­schung an Schu­len nötig. 

Die vor­lie­gen­de Stu­die unter­such­te am Bei­spiel der Städ­te Basel, Bern, Genf, Lau­sanne, Win­ter­thur und Zürich die Schul­zu­tei­lung von Kin­dern auf der Unter­stu­fe. Zugleich prüf­te sie, wel­che Ver­än­de­run­gen an den Gren­zen der Ein­zugs­ge­bie­te nötig wären, um eine bes­se­re sozia­le und eth­ni­sche Durch­mi­schung zu errei­chen. Um Schul­zu­tei­lung und Schul­raum­pla­nung in die­sem Sinn zu unter­stüt­zen, haben die Autorin­nen und Autoren der Stu­die einen Opti­mie­rungs­al­go­rith­mus konzipiert.

Schul­durch­mi­schungs-Algo­rith­mus
Eine ers­te, gro­be Zutei­lung der Schüler/innen erfolgt in der Schweiz auf der Grund­la­ge von Ein­zugs­ge­bie­ten. Die­se Ein­zugs­ge­bie­te wer­den jähr­lich ange­passt, um aus­ge­wo­ge­ne Klas­sen­be­stän­de zu gewähr­leis­ten. Das daten­ge­stütz­te Ver­fah­ren schlägt an den Grenz­ge­bie­ten Anpas­sun­gen vor, wel­che neben aus­ge­wo­ge­nen Klas­sen­be­stän­den und kur­zen und siche­ren Schul­we­gen auch eine Nivel­lie­rung in der Zusam­men­set­zung der Schu­len anstrebt. Hier­zu wird für sämt­li­che Schu­len und Stras­sen­blö­cke ein «Kon­zen­tra­ti­ons­in­dex» zum Anteil Schüler/innen mit Fremd­spra­chig­keit und mit nied­ri­gem Bil­dungs­hin­ter­grund berech­net und anschlies­send wer­den in einem intui­tiv nach­voll­zieh­ba­ren Ver­fah­ren nach mög­lichst för­der­li­chen Abtau­schen von Stras­sen­blö­cken im Grenz­ge­biet zwi­schen den Schu­len gesucht.
  • Die Zusam­men­set­zung der Schu­len in der Unter­stu­fe wider­spie­gelt die sozia­le und eth­ni­sche Ungleich­ver­tei­lung in den Quar­tie­ren eins zu eins. All­fäl­li­ge Bestre­bun­gen der Städ­te, der aus­ge­präg­ten Ent­mi­schung ent­ge­gen­zu­wir­ken, sind in der Ana­ly­se kei­ne ersichtlich.
  • Der inter­na­tio­nal aner­kann­te Befund eines – in der Schweiz beson­ders aus­ge­präg­ten – Effekts der sozia­len und kul­tu­rel­len Zusam­men­set­zung von Schu­len auf die indi­vi­du­el­len Schul­leis­tun­gen («Kom­po­si­ti­ons­ef­fekt») kann dahin­ge­hend dif­fe­ren­ziert wer­den, dass ein nega­ti­ver Effekt auf die Schul­leis­tung erst ab einem Anteil von 40 Pro­zent Schüler/innen mit benach­tei­lig­tem Hin­ter­grund ein­tritt. Die erneu­te Bestä­ti­gung eines sol­chen «Kipp­ef­fekts» lässt bestehen­de Ängs­te vie­ler Eltern vor einer stär­ke­ren Durch­mi­schung als unbe­grün­det erscheinen. 
  • Die typi­schen Bil­dungs­we­ge unter­schei­den sich stark je nach sozia­ler und eth­ni­scher Zusam­men­set­zung der städ­ti­schen Schul­krei­se oder Quartiere.
  • Der Opti­mie­rungs­al­go­rith­mus zeigt, dass je nach Stadt bereits klein­räu­mi­ge Anpas­sun­gen an den Gren­zen der Ein­zugs­ge­bie­te einen gewis­sen Aus­gleich zwi­schen Schu­len schaf­fen könn­ten, teil­wei­se auch über Schul­krei­se hinweg.
  • Der Algo­rith­mus berück­sich­tigt die Vor­ga­ben für die Bestim­mung von Ein­zugs­ge­bie­ten: Schul­weg­län­ge/-sicher­heit, Schul­haus­ka­pa­zi­tä­ten, gemein­sa­me Schul­we­ge, Fest­hal­ten an «Quar­tier­schu­len».

Gera­de den frü­hen Stu­fen der Volks­schu­le wer­den eine zen­tra­le Rol­le für die gesell­schaft­li­che Inte­gra­ti­on zuge­schrie­ben. Ins­ge­samt macht die Stu­die deut­lich, dass das Poten­zi­al, die­se Inte­gra­ti­on an städ­ti­schen Schu­len zu ermög­li­chen, noch wenig aus­ge­schöpft wird. 

Handlungsempfehlungen der Studie
  • Der Durch­mi­schung an Schu­len soll­te bereits bei der Fest­le­gung der Ein­zugs­ge­bie­te und Schul­zu­tei­lung Rech­nung getra­gen werden.
  • Schul­raum­pla­nung und Schul­haus­bau soll­ten stär­ker dar­auf aus­ge­rich­tet sein, die Durch­mi­schung an städ­ti­schen Schu­len zu fördern.
  • Der Stadt­ent­wick­lungs­po­li­tik und dem pri­va­ten und gemein­nüt­zi­gen Woh­nungs­bau kommt für die Errei­chung durch­misch­ter Quar­tie­re und damit durch­misch­ter Schu­len eine zen­tra­le Rol­le zu. Gleich­zei­tig soll­te bei der Auf­wer­tung von Quar­tie­ren dar­auf geach­tet wer­den, dass sozi­al schwä­che­re und bil­dungs­fer­ne Fami­li­en nicht wei­ter aus der Stadt gedrängt werden.
  • Der neu ent­wi­ckel­te Algo­rith­mus kann in die bestehen­den Schul­zu­tei­lungs­ver­fah­ren inte­griert wer­den, ohne die Arbeits­schrit­te der Mit­ar­bei­ten­den, die damit betraut sind, wesent­lich zu verändern.
  • Um die gesell­schaft­li­che Akzep­tanz zu erhö­hen, sol­len im Fal­le einer Anwen­dung die fest­ge­leg­ten Para­me­ter des Algo­rith­mus offen­ge­legt und die Zutei­lungs­pra­xis der Behör­den offen kom­mu­ni­ziert werden.

«Stär­ker durch­misch­te Schu­len kön­nen auch zu einer stär­ke­ren Durch­mi­schung der Wohn­quar­tie­re bei­tra­gen. Mit der Stu­die soll auch ein neu­er Impuls zur aktu­el­len Debat­te über Bil­dungs­ge­rech­tig­keit in der Schweiz gelie­fert wer­den. Zusätz­lich zur Umset­zung spe­zi­el­ler Pro­gram­me für Schu­len mit hohen Antei­len an Fremd­spra­chi­gen soll­ten die Schul­be­hör­den dafür sor­gen, dass die Schu­len stär­ker durch­mischt werden.

«Sozia­le und eth­ni­sche Viel­falt ist in urba­nen Räu­men längst eine Rea­li­tät. Zum städ­ti­schen Raum gehört auch eine durch­misch­te Volks­schu­le», sagt Stu­di­en­au­tor Oli­ver Dlabac.

Infor­ma­tio­nen zur Studie
Die Stu­die ent­stand als Ergän­zung zum lau­fen­den inter­na­tio­na­len For­schungs­pro­jekt «Die demo­kra­ti­schen Grund­la­gen der gerech­ten Stadt», das vom Schwei­ze­ri­schen Natio­nal­fonds geför­dert und vom Zen­trum für Demo­kra­tie Aar­au in Zusam­men­ar­beit mit der Uni­ver­si­tät Bir­ming­ham (UK) durch­ge­führt wird. Die Unter­su­chung wur­de von der Stif­tung Mer­ca­tor Schweiz und der Stadt­ent­wick­lung Zürich finanziert.

Refe­renz:

Dla­bac, Oli­ver; Amrhein, Adi­na; Hug, Fabi­en­ne (2021): Durch­mi­schung in städ­ti­schen Schu­len – eine poli­ti­sche Auf­ga­be? Opti­mier­te schu­li­sche Ein­zugs­ge­bie­te für Schwei­zer Städ­te. ZDA: Aarau.

Bild: Päd­ago­gi­sche Hoch­schu­le Zürich
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