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Wahlcheck 2023: Mehr Kompromiss als Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit der Schweiz

Tina Freyburg
14th April 2023

Wähler:innen sind generell optimistisch eingestellt für die Zukunft der Schweiz. Das zeigen Umfragedaten des schweizweiten Chancenbarometers, welches von Tina Freyburg (Universität St.Gallen) zusammen mit der LARIX Foundation. Innovation matters durchgeführt wird. Gewünscht werden Fortschritte insbesondere im Klimabereich, aber auch in der Digitalisierung und im nachhaltigen Wirtschaftswachstum. Allerdings fehlen der Schweiz manche Voraussetzungen für ein effektives Ergreifen der Chancen. Während die politische Stabilität grossmehrheitlich als voll und ganz gegeben eingeschätzt wird, ist dies bei der konstruktiven Kommunikationskultur nicht der Fall. Die politischen Entscheidungsträger:innen zeigen kaum die erwartete Kompromissbereitschaft. Gerade bei der Gruppe der Parteilosen, die mit 25 Prozent den grössten Anteil der Befragten ausmacht, ergibt sich hier grosses Mobilisierungspotenzial: Gelingt es den Parteien, politische Antworten anzubieten, werden sie auch für diejenigen attraktiver, die bisher keiner Partei nahestanden.

Der Chancenbarometer befragt jährlich Einwohner:innen ab 16 Jahren aus der ganzen Schweiz zu ihren politischen Einstellungen über aktuelle Herausforderungen. Das Ziel: Die Diskussion auf die Chancen in der politischen Landschaft zu lenken, statt primär auf die Risiken und Kosten. Die aktuelle Sonderausgabe fokussiert auf Einstellungen mit Blick auf die anstehenden Wahlen.

Die Schweiz blickt optimistisch in die Zukunft

Die Mehrheit der Schweizer:innen sucht nach zukunftsorientierten Lösungen, statt im Negativen zu verharren. Vor allem Anhänger:innen der SP und FDP sind optimistisch unterwegs, aber auch die parteilich Unentschiedenen verlangen eine tatkräftigere Politik.

Klima als wichtigstes Zukunftsthema

Die Befragten erkennen die komplexen Herausforderungen in der politischen Gestaltung der Schweiz an und stufen diese grösstenteils als Chancen ein. So sind sich die Schweizer:innen – mit Ausnahme der SVP-Anhänger:innen – einig, dass insbesondere die Klimakrise dazu aufruft, die Art und Weise, wie wir leben und arbeiten, zu überdenken und neu zu gestalten. Auch die Bereiche Digitalisierung und Nachhaltiges Wachstum bieten gemäss der Befragten grosse Chancen für positive Veränderung.

Abbildung 1. Auf diese Chancen bauen: Zustimmung der Befragten auf Parteinähe
Voraussetzungen für die Zukunftsfähigkeit der Schweiz nur teilweise gegeben

Um Chancen ergreifen und Lösungsideen effektiv und nachhaltig umsetzen zu können, bedarf es bestimmter Voraussetzungen. Die politische Stabilität der Schweiz wird von den Befragten — mit Ausnahme bei SVP-Anhänger:innen — als positiv gesehen. Das Schlüsselthema, um zukunftsgerichtete Lösungen zu erhalten, ist die Verbesserung der politischen Kommunikationskultur. Sie wird von den Befragten aller Parteien und von der grossen Gruppe der parteilich noch Unentschlossenen gleichermassen als schlecht beurteilt: Nur 6 Prozent sind der Ansicht, dass eine konstruktive Kommunikationskultur derzeit voll vorhanden ist.

Grosse Diskrepanz zwischen Wunsch nach Kompromissbereitschaft von Politiker:innen und der Einschätzung der Realität

Auch die Kompromissfähigkeit der Schweizer Politik wird als ungenügend bewertet. Unabhängig von ihrer Parteinähe erwarten die Bürger:innen von den Abgeordneten, dass sie parteiübergreifend Lösungen entwickeln und umsetzen, um die Chancen der gegenwärtigen Herausforderungen wahrzunehmen. Gleichzeitig sind sie sich einig, dass dies heute nicht der Realität entspricht. Vor allem SVP- und SP-Anhänger:innen sehen Politiker:innen als wenig kompromissbereit an. Bei den parteilich Unentschlossenen, die mit 25 Prozent den grössten Anteil der Befragten ausmachen, ist die Diskrepanz zwischen Wunsch und Realität am grössten. Dieses Segment stellt für die Parteien das grösste Mobilisierungspotenzial für die eidgenössischen Wahlen dar. Nur der echte politische Wettbewerb um Antworten auf die grossen Herausforderungen kann deutlich machen, warum jede Stimme zählt.

Abbildung 2. Bürger:innen wünschen, dass Politiker:innen mehrheitsfähige Kompromisse suchen

Chancenbarometer 2022. Die technischen Eckdaten
Grundgesamtheit: 4’349 Einwohner:innen der Schweiz ab 16 Jahren, die einer der drei Hauptsprachen mächtig sind (DCH = 3’102; FCH = 1’050; ICH = 197). Alle Angaben anpassungsgewichtet nach soziodemografischen Merkmalen (Alter, Geschlecht, Sprache, Kanton, Siedlungsart, Bildung, Partei) zur möglichst repräsentativen Abbildung der Bevölkerung. Unter der Annahme einer Zufallsstichprobe beträgt der maximale Fehlerbereich +/– 1,5 Prozentpunkte (bei 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit).

Befragungszeitraum: 13. Mai bis 8. Juni 2022. Das Chancenbarometer 2023 wird am 29. September 2023 publiziert.


Referenz: Dieser Artikel ist eine schriftliche Kurzfassung der Sonderpublikation “Wahlcheck 2023” des Chancenbarometers

Bild: unsplash.com