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Volk will Kinder und Jugendliche mit einem weitgehenden Tabakwerbeverbot schützen

Pascal Stahl
26th Juli 2023

Kurzbeschreibung zur Abstimmung vom 13. Februar 2022 über die Volksinitiative «Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung»

Vorgeschichte

Initiativen, die Werbung für Tabakprodukte verbieten wollten, wurden von einer Mehrheit der Stimmberechtigten 1979 und 1993 verworfen (Vorlagen Nr. 295 und 404). Damit ist Werbung für Tabakprodukte in der Schweiz unter Auflagen erlaubt, je nach Kanton gelten teilweise strengere Regeln. 2015 unterbreitet der Bundesrat dem Parlament jedoch einen Gesetzesentwurf mit zahlreichen Einschränkungen im Bereich Tabakwerbung, um junge Menschen besser vor dem Tabakkonsum zu schützen und die Regeln national zu vereinheitlichen. Im Parlament ist aber nur ein Verbot von Werbung, die sich speziell an Minderjährige richtet, mehrheitsfähig. Vor diesem Hintergrund lanciert ein Komitee aus Ärzteschaft, Drogist:innen, Apotheker:innen sowie der Krebs- und der Lungenliga 2018 eine Volksinitiative, die ein Verbot aller Werbung, die für Minderjährige zugänglich ist, fordert.

Der Bundesrat empfiehlt die Volksinitiative nach deren Zustandekommen zur Ablehnung. Er äussert zwar die Absicht, sich im Rahmen der parlamentarischen Debatte zum Tabakproduktegesetz für einen besseren Kinder- und Jugendschutz vor Tabakwerbung einzusetzen, will aber «ein gewisses Gleichgewicht zwischen den Interessen der öffentlichen Gesundheit und der Wirtschaft» wahren. In dieser Hinsicht gehen ihm die Forderungen der Initiant:innen zu weit.

Auch Nationalrat (101 zu 88 Stimmen bei 7 Enthaltungen) und Ständerat (29 zu 14 Stimmen bei 1 Enthaltung) empfehlen die Volksinitiative zur Ablehnung, die laut den Gegner:innen aus den fast geschlossenen Fraktionen von Mitte, FDP und SVP ein «faktisches Totalverbot» von Werbung für «sich legal im Handel befindende Produkte» zur Folge hätte. Zielführender sei ein Kompromiss in Form des zum indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative erklärten Tabakproduktegesetzes, welches den Jugendschutz ebenso verstärke und zum Beispiel ein allgemeines Werbeverbot für Tabakprodukte auf Plakaten, im Kino und an öffentlichen Gebäuden vorsieht. Für die geschlossenen Fraktionen der SP und der Grünen sowie für die Mehrheit der GLP geht dies jedoch nicht weit genug – so blieben mit dem indirekten Gegenvorschlag unter anderem Inserate in Presse und Internet sowie Werbung an Verkaufsstellen nach wie vor erlaubt –, weswegen sie die Wichtigkeit der Volksinitiative betonen.

Gegenstand

Die Initiative hat zum Ziel, Tabakwerbung, die an Minderjährige gerichtet oder für sie zugänglich ist, zu verbieten. Zu diesem Zweck sollen Werbung in Print- und sozialen Medien, im Internet, auf Plakaten, an Kiosken, in Kinos ebenso wie das Sponsoring von Veranstaltungen durch Tabakproduzenten verboten werden, wenn Minderjährige dadurch erreicht werden können. Die gleichen Regeln sollen auch für E-Zigaretten gelten. Werbung für Tabakprodukte soll nur noch dann erlaubt sein, wenn sie ausschliesslich Erwachsene erreicht, etwa in Form von Werbemails oder gezielter Werbung in den sozialen Medien.

Abstimmungskampf

SP, GPS, GLP, EVP und PdA ebenso wie EDU und SD empfehlen die Volksinitiative zur Annahme. Ebenfalls für ein Ja plädieren neben den Initiant:innen zahlreiche weitere Verbände aus der Gesundheitsbranche. Des Weiteren erfährt die Initiative unter anderem auch von Jugend- und Sportverbänden, dem Lehrer:innenverband und  der Stiftung für Konsumentenschutz Unterstützung. Für ein Nein treten die grossen bürgerlichen Parteien Die Mitte (mit vielen Abweichungen, darunter 11 Kantonalsektionen sowie die Mitte-Frauen, die für ein Ja plädieren), FDP und SVP ein. Unterstützt werden sie von Economiesuisse, Gewerbe- und Bauernverband sowie Verbänden aus der Tabak-, Handels- und Werbebranche.

Abbildung 1. Abstimmung über die Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung» (Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung): Stimmempfehlungen und Ergebnisse

Quelle: Swissvotes
Parteiparolen: Kumulierte Wähleranteile aller Parteien mit Ja-Parole, aller Parteien mit Nein-Parole sowie aller Parteien mit neutraler oder unbekannter Parole.

Die Befürwortenden argumentieren primär damit, dass durch das Werbeverbot Jugendliche vor dem Rauchen und seinen schädlichen Auswirkungen geschützt werden können. Die Gegnerschaft führt dagegen die Wirtschaftsfreiheit an und befürchtet, dass in Zukunft weitere Produkte wie Fleisch oder Zucker mit einem vergleichbaren Werbeverbot belegt werden könnten. Auf Nein-Plakaten verwendet sie entsprechend einprägsame Slogans wie «Heute Tabak! Morgen Cervelat? Nein zur extremen Verbots-Initiative».

Die Inseratekampagne zur Initiative wird überdurchschnittlich intensiv geführt, wobei die ablehnenden Inserate mit einem Anteil von rund drei Vierteln recht deutlich dominieren. In der Berichterstattung der Medien kommt die Initiative seltener vor als die meisten Abstimmungsvorlagen seit 2018, dennoch schaffen es die Initiant:innen, dass die Problematik des Tabakkonsums in den Medien fast zehnmal häufiger thematisiert wird als noch im Vorjahr. Die Tonalität gegenüber dem Tabakwerbeverbot ist in den Medien überwiegend positiv (fög 2022; Heidelberger/Bühlmann 2022).

Ergebnis

Die Stimmbevölkerung nimmt die Volksinitiative am 13. Februar 2022 mit 56,7 Prozent Ja-Stimmen an. Auch das Ständemehr wird mit 15 Standesstimmen scheinbar komfortabel erreicht, wobei rechnerisch schon 3'866 zusätzliche Nein-Stimmen in den relativ knapp zustimmenden Kantonen Glarus, Aargau, Solothurn und Graubünden für ein anderes Ergebnis gesorgt hätten. Die Initiative erhält mehr Ja-Stimmen in der französischen (67%) als in der italienischen (58%) und in der deutschen Schweiz (54%) sowie mehr Zustimmung im städtischen als im ländlichen Raum; mit Abstand am deutlichsten Ja sagt der Kanton Genf (75%), am geringsten ist der Ja-Anteil im Kanton Schwyz (40%). Die Stimmbeteiligung liegt bei 44,2 Prozent.

Abbildung 2. Abstimmung vom 13.02.2022 über die Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung» (Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung), Abstimmungsergebnis nach Bezirken

Quelle: Bundesamt für Statistik

Die Vox-Analyse (gfs.bern 2022) zeigt, dass Personen, die links oder in der Mitte stehen und für SP, GLP, Grüne oder Mitte sympathisieren, mehrheitlich mit Ja gestimmt haben (bei der Mitte entgegen der nationalen Parole). Ausschlaggebende Motive für ein Ja waren dabei das Argument des Schutzes der Kinder, der Aspekt der Gesundheit der Bevölkerung sowie das Zeichen gegen die Tabak- und Werbeindustrie. Personen, die mit der FDP oder der SVP sympathisieren, haben klar Nein gestimmt. Sie liessen sich dabei am meisten vom Wunsch nach einer freien Gesellschaft, von der Überzeugung, dass ein Werbeverbot unnütz sei, sowie von der Befürchtung, dass das Werbeverbot negative wirtschaftliche Folgen habe, leiten.


Hinweis: Dieser Beitrag wurde für die Abstimmungsdatenbank Swissvotes erstellt. Das Original kann ebenso wie zahlreiche weiterführende Informationen rund um die Abstimmungsvorlage unter https://swissvotes.ch/vote/652 heruntergeladen werden.

Empfohlene Zitierweise: Stahl, Pascal (2023): Volk will Kinder und Jugendliche mit einem weitgehenden Tabakwerbeverbot schützen. Swissvotes – die Datenbank der eidgenössischen Volksabstimmungen. Online: www.swissvotes.ch. Abgerufen am [Datum].

Referenzen:

  • fög (2022). Abstimmungsmonitor zu den Vorlagen vom 13. Februar 2022, Schlussbericht vom 11. Februar 2022. Zürich: Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich.

  • gfs.bern (2022). VOX-Analyse Februar 2022. Nachbefragung und Analyse zur eidgenössischen Volksabstimmung vom 13. Februar 2022. Bern: gfs.bern.

  • Heidelberger, Anja, und Marc Bühlmann (2022). APS-Zeitungs- und Inserateanalyse zu den Abstimmungen vom 13. Februar 2022. Zwischenstand vom 3.2.2022. Bern: Année Politique Suisse, Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern.

  • Schneuwly, Joëlle (2022). Ausgewählte Beiträge zur Schweizer Politik: Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung (Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung)», 2018-2022. Bern: Année Politique Suisse, Institut für Politikwissenschaft, Universität Bern. www.anneepolitique.swiss, abgerufen am 21.6.2023.

  • Schneuwly, Joëlle (2022). Ausgewählte Beiträge zur Schweizer Politik: Jahresrückblick 2022: Gesundheit, Sozialhilfe, Sport. Bern: Année Politique Suisse, Institut für Politikwissenschaft, Universität Bern. www.anneepolitique.swiss, abgerufen am 21.6.2023.

  • Schubiger, Maximilian, und Joëlle Schneuwly (2022). Ausgewählte Beiträge zur Schweizer Politik: Tabakproduktegesetz, 2014-2022. Bern: Année Politique Suisse, Institut für Politikwissenschaft, Universität Bern. www.anneepolitique.swiss, abgerufen am 21.6.2023.

  • Erläuterungen des Bundesrates zur Abstimmung vom 13.2.2022 (Abstimmungsbüchlein). Herausgegeben von der Bundeskanzlei.

  • Amtliche Bulletins des National- und des Ständerats (Geschäft 20.068).

  • Bundesblatt: BBl 2020 7049. BBl 2021 2315. BBl 2022 895.

Bild: unsplash.com