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Infrastrukturprojekte im eigenen Hinterhof

Tom Felber
14th September 2023

Im Hinblick auf eine bevorstehende 10-Millionen-Schweiz stellen sich infrastrukturelle Herausforderungen. Während über die Notwendigkeit des Ausbaus der Infrastruktur weitgehend Einigkeit herrscht, stösst die Umsetzung konkreter Projekte oft auf lokalen Widerstand. Die Untersuchung von sieben kantonalen Infrastrukturabstimmungen im Kanton Bern zeigt, dass die Distanz zum Projektstandort die Zustimmung beeinflussen kann.

Lokale Ablehnung gegenüber Stellplatz

Besonders deutlich wird die lokale Ablehnung beim Transitplatz Wileroltigen. Hier zeigt sich, dass das Projekt vor allem in der unmittelbaren Umgebung des geplanten Standorts auf starke Ablehnung stiess. Was in Abbildung 1 deskriptiv dargestellt ist, bestätigt sich durch eine statistische Mehrebenen-Analyse. In den Gemeinden, die 5 - 10 km von der Standortgemeinde entfernt sind, ist die Zustimmung bereits um 18 Prozentpunkte höher als in den ersten 5 km. Zwischen 10 - 20 km Entfernung ist die Zustimmung um 27 Prozentpunkte höher als in der unmittelbaren Umgebung von 0 bis 5 km. Für Gemeinden, die weiter als 20 km vom Projektstandort entfernt sind, zeigt Abbildung 1 keinen weiteren Anstieg der Ja-Stimmenanteile. Dies deutet darauf hin, dass die Stimmberechtigten ab einer gewissen Distanz indifferent werden. Die Ablehnung ist in der Tat ein sehr lokales Phänomen.

Abbildung 1: Verhältnis von Entfernung und Ja-Stimmenanteil bei der Abstimmung zum Transitplatz in Wileroltigen

Dieses Ergebnis bestätigt den Forschungsstand der politischen Ökonomie (z.B. Heidelberger und Vatter 2013) zum Nimby-Phänomen (= not in my backyard) anhand eines bisher nicht untersuchten Infrastrukturtyps. Insgesamt hat der Kanton Bern dem Transitplatz mit 53.5 Prozentpunkten zugestimmt. Wileroltigen und die Nachbargemeinde Gurbrü lehnten das Projekt jedoch mit satten 91.1 bzw. 94.5 Prozentpunkten ab. Nirgendwo sonst war die Ablehnung derart hoch. Nach Ansicht der Berner Stimmbevölkerung ist der Nettonutzen dieses Infrastrukturprojekts insgesamt positiv, während die lokale Bevölkerung die Kosten stärker gewichtet. Gründe dafür können die Furcht vor Landnahme, Lärm und Verschmutzung sowie Stereotypen gegenüber ausländischen Fahrenden sein. Von diesen Aspekten fühlt sich die lokale Stimmbürgerschaft überproportional betroffen.

Lokale Unterstützung für Universität und Individualverkehr

Es gibt auch das umgekehrte Phänomen, genannt Yimby (= yes in my backyard). Mancherorts wird der lokale Nutzen höher gewichtet als die Kosten. Neben dem Stellplatz wurden Infrastrukturprojekte für den Individualverkehr, den öffentlichen Verkehr, ein Kernkraftwerk und eine Universität untersucht. Während beim Kernkraftwerk ebenfalls eine lokale Ablehnung festgestellt wurde, stimmten bei der Universität und beim Individualverkehr die näher wohnenden Bürger: innen stärker für die Projekte als die weiter entfernt wohnenden.

Röstigraben mitten durch den Kanton Bern

Der Einbezug von Kontrollvariablen zeigt, dass die Gemeinden des Berner Juras bei allen Infrastrukturtypen signifikant anders abstimmten als die rein deutschsprachigen Berner Gemeinden. Die französischsprachigen stimmten stärker für den öffentlichen Verkehr, den Stellplatz und den Universitätsneubau als die deutschsprachigen. Im Gegenzug lehnte der Berner Jura Massnahmen zur Förderung des Individualverkehrs und der Kernenergie stärker ab. Die politische Kultur des Berner Juras unterscheidet sich in der Infrastrukturpolitik demnach deutlich vom deutschsprachigen Teil des Kantons Bern. Nicht berücksichtigt sind hier die zweisprachigen Gemeinden des Verwaltungskreises Biel/Bienne.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Entfernung zum Standort bei der Abstimmung über Infrastrukturprojekte einen relevanten Erklärungsfaktor darstellt. Zudem lässt sich eine Akzeptanzhierarchie (Dear 1992) belegen. Einige Infrastrukturtypen wie zum Beispiel Verkehrssanierungen sind im eigenen Hinterhof erwünscht. Hier ist die Zustimmung in den benachbarten Gemeinden also höher als in weiter entfernten. Werden einem Projekt dagegen negative Folgen für das unmittelbare Umfeld unterstellt, verhält es sich umgekehrt.


Referenzen:

  • Vatter, Adrian und Anja Heidelberger. Volksentscheide nach dem NIMBY-Prinzip? – Eine Analyse des Abstimmungsverhaltens zu Stuttgart 21. Politische Vierteljahresschrift 54(2): 317-336.
  • Dear, Michael. 1992. Understanding and overcoming the NIMBY syndrome. Journal of the American planning association 58(3): 288-300.

Bild: unsplash.com