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Junge Städter vs. Junge vom Land: ein neuer Generationenkonflikt?

Reto Mitteregger, Lukas Haffert
25th Oktober 2023

Der politische Stadt-Land Graben hat sich in ganz Europa und auch in der Schweiz vergrössert. Besonders sichtbar wurde dies bei der Abstimmung über das CO2-Gesetz 2021, als ländliche Regionen deutlich stärker gegen die Vorlage votierten als die städtischen Gemeinden. Diese Gegensätze sind auch bei Wahlen zunehmend zu beobachten: Während Städte zu Hochburgen linker und grüner Parteien geworden sind, wählen in ländlichen Regionen immer mehr Menschen rechte oder gar Rechtsaussenparteien wie die deutsche AfD, die Schwedendemokraten oder die österreichische FPÖ. Neue Untersuchungen aus Deutschland zeigen nun Überraschendes: Dieser Graben trennt vor allem junge Menschen.

Städte haben eine junge, ländliche Gebiete eine ältere Bevölkerung. Aber ist die Kluft zwischen Stadt und Land deshalb auch eine Kluft zwischen Jung und Alt? Nein, zeigen wir, Lukas Haffert (Universität Genf) und Reto Mitteregger (Universität Zürich), in einer neuen Studie.

Die Unterschiede im Wahlverhalten und den Einstellungen zwischen Stadt und Land sind kein Graben zwischen Altersgruppen. Sie trennen vor allem die jungen Menschen. Die Analyse zeigt dies für deutsche Bundestagswahl 2021 auf, welche durch ein noch nie dagewesenes Stadt-Land-Gefälle gekennzeichnet war: Die Grünen sind die Partei der urbanen Wähler:innen. Sie gewannen viele Stimmen in den boomenden Stadtzentren Kölns, Münchens oder Berlins und wurden zudem zur stärksten Partei in Universitätsstädten wie Heidelberg, Tübingen und Freiburg. Im Gegensatz dazu erreichte die radikal-rechte AfD ihre besten Resultate im ländlichen Raum. In diesen Gebieten erhielten die Grünen hingegen nur Stimmenanteile im tiefen einstelligen Bereich.

Eine empirische Analyse des Zusammenhangs zwischen Alter und Wohnort

Die Frage, ob nun diese Stadt-Land Unterschiede bei jungen oder bei alten Wählenden grösser sind, wurde bisher aber nur selten wissenschaftlich untersucht.

Anhand von eigens erhobenen Umfragedaten aus dem Jahr 2020 untersuchen wir zunächst, ob sich städtische und ländliche Wähler verschiedener Altersgruppen in ihren Präferenzen zu Themen wie Einwanderung und europäischer Integration unterscheiden. Während bei den jüngsten Wählenden ein starkes Stadt-Land-Gefälle festgestellt werden kann, gibt es bei den älteren Jahrgängen in der deutschen Wählerschaft kein solches Gefälle.

Ein vergleichbares Muster finden wir bei den Parteipräferenzen. Mit den Daten der deutschen Nachwahlbefragung aus dem Herbst 2021 stellen wir fest, dass die Neigung, die Grünen oder die AfD zu wählen, bei den ältesten Wählenden nicht von der Urbanität des Wohnorts abhängig ist. Bei den jüngsten Wählenden hingegen gibt es grosse Unterschiede zwischen Stadt und Land: Junge in der Stadt wählen mit grösserer Wahrscheinlichkeit die Grünen, während die AfD von jungen Menschen in den Städten deutlich weniger gewählt wird. Auf dem Land ist die Wahlwahrscheinlichkeit für Grüne bei Jungen aber deutlich weniger gross als in der Stadt.

Abbildung 1. Wahlneigung für die Grünen und die AfD bei den 16-34 Jährigen abhängig, von der Urbanität des Wahlkreises

Abbildung 2. Wahlneigung für die Grünen und die AfD bei den über 65 Jährigen abhängig, von der Urbanität des Wahlkreises

Methodik
Wir messen Urbanität mit Daten der deutschen Künstlersozialkasse (KSK). Die KSK verfügt über rund 200.000 Versicherte, darunter Schriftsteller:innen, freie Journalist:innen, Musiker:innen, Schauspieler:innen und andere Künstler:innen. Die Zahl der versicherten Künstler:innen ist auf Postleitzahlenebene verfügbar. Wir verwenden die Anzahl der KSK-versicherten Menschen pro Quadratkilometer um die Urbanität eines Postleitzahlbezirks und eines Wahlkreises zu berechnen. Die Balken in Abbildung 1 und 2 zeigen die Anzahl Befragten nach Urbanität eines Wahlkreises.

In einem weiteren Schritt werfen wir auch einen Blick auf die anderen Parteien im Bundestag. Besondere Beachtung erhält hier die FDP. Die liberale Partei weist ebenfalls ein starkes Stadt-Land-Gefälle bei den jungen Leuten auf, welches demjenigen der AfD gleicht. Während FDP-Anhänger im Allgemeinen zwar viel eher die Grünen als die AfD wählen würden, sind junge ländliche FDP-Sympathisanten dennoch deutlich offener für die AfD als andere FDP-Anhängergruppen. Schliesslich werfen wir auch einen Blick auf die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland, wobei die Stadt-Land Unterschiede bei jungen Leuten im Osten Deutschlands gar noch leicht stärker sind als im Westen, insbesondere bei Betrachtung der AfD.

Was sind die Gründe für dieses grössere Gefälle zwischen Stadt und Land bei den jungen Wählenden? Wir argumentieren, dass die wirtschaftlichen und kulturellen Veränderungen, die die Kluft zwischen Stadt und Land vorantreiben, hauptsächlich in den letzten 30 Jahren stattgefunden haben. Daher spielten diese Unterschiede vor allem für die politische Sozialisierung der jüngeren Wählerschaft eine Rolle, aber weniger für die Sozialisierung der älteren Wählenden. Schliesslich sind die jüngeren Wählenden auch in einem veränderten Parteiensystem aufgewachsen, in welchem vormalig stabile Parteibindungen an Relevanz verloren haben: Die Dominanz der sozialdemokratischen SPD und der christdemokratischen CDU/CSU in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts ist in den letzten Jahren insbesondere von den Grünen, aber zunehmend auch von der AfD bedrängt worden, welche ihre Wahlanteile stetig ausbauen konnten Damit folgt das deutsche Parteiensystem einem gesamteuropäischen Trend hin zu mehr Fragmentierung.

Unter der Annahme, dass die politische Sozialisation eine grosse Rolle spielt, ist anzunehmen, dass der Stadt-Land Graben durch generationelle Effekte gar noch grösser werden dürfte. Es ist demnach wahrscheinlich, dass er in den nächsten Jahrzehnten die deutsche, aber auch die europäische Politik noch stärker bestimmen könnte.


Referenz:

Bild: flickr.com