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Olympische Spiele und Menschenrechte: eine sich rasant verändernde Beziehung

Jean-Loup Chappelet
15th Februar 2024

Eine hochaktuelle Frage

Die Fussball-Weltmeisterschaft, die im Dezember 2022 in Katar zu Ende gegangen ist, hat viele Fragen zum Thema Menschenrechte aufgeworfen. Medien, NRO und die westliche Öffentlichkeit nehmen es nicht mehr einfach hin, dass solche sportlichen Grossereignisse in Ländern ausgetragen werden, in denen die Menschenrechte mit Füssen getreten werden, oder sogar, dass Länder, die in diesem Bereich keine weisse Weste haben, daran teilnehmen. Das gilt auch für die Olympischen Sommer- und Winterspiele, die zusammen mit der Fussball-Weltmeisterschaft die Grossereignisse mit der grössten Medienpräsenz sind.

Die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit fanden 1896 statt. Die dahinterstehende Idee war, dass aus einem besseren Verständnis unter den Völkern durch sportliche Begegnungen Frieden erwachsen könnte. Heute hat sich dieses pazifistische Ziel der berühmten amerikanischen Historikerin Barbara Keys (2019) zufolge auf das Ideal der Achtung der Menschenrechte verlagert, ein Konzept, das sich seit seiner Popularisierung durch die Allgemeine Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte zu Beginn der Französischen Revolution stark verändert hat. Die Regelmässigkeit, mit der die Spiele mehr als ein Jahrhundert lang stattgefunden haben, erlaubt es, diese Entwicklung nachzuzeichnen und aktuelle Ereignisse in den Rahmen des Völkerrechts einzuordnen.

Eine Beziehung, die sich mit dem Konzept der Menschenrechte verändert hat

Die Forschung sieht vier Momente (vgl. Abbildung 1), zu denen die Menschenrechte parallel zur Entwicklung dieses Konzepts im Laufe der Jahre nach und nach in den Vordergrund rückten. Zuerst gab es anlässlich der Olympischen Spiele in Berlin 1936 aufgrund der Diskriminierung, der die deutschen Juden durch das nationalsozialistische Regime ausgesetzt waren, Boykottaufrufe aus den USA und Europa. Nach dem Zweiten Weltkrieg verabschiedete die UNO 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Diese Erklärung wurde mit einer Reihe von Übereinkommen (Verträgen) zwischen Staaten in die Tat umgesetzt. 1960 schloss das Internationale Olympische Komitee (IOC) Südafrika wegen der Apartheidspolitik aus und verhängte eine Sperre für die Spiele. Aber auch andere rassistische, mit der olympischen Idee unvereinbare Themen prägten die Spiele. So gab es bei den Olympischen Spielen zwischen 1960 und 1970 verschiedene Boykotts (oder Boykottandrohungen) afrikanischer Länder und schwarzen Athleten: Dies ist der zweite Moment. Der dritte Moment ist Olympische Spiele und Menschenrechte: eine sich rasant verändernde Beziehung Forschungsbereich Sportregulierung Prof. Dr. Jean-Loup Chappelet der der Sommerspiele in Peking 2008 und der Winterspiele in Peking 2022. Diese Spiele wurden trotz der Unterdrückung des tibetischen und des uigurischen Volkes, die mit einem kulturellen Genozid verglichen wird, abgehalten. Der vierte und letzte untersuchte Moment betrifft die Sommer-und Winterspiele ab 2024. Das IOC hat sie mit Paris (2024), Mailand (2026), Los Angeles (2028) und Brisbane (2032) allesamt an Länder vergeben, in denen Menschenrechtsverletzungen keine grössere Rolle spielen sollten. Es werden nun aber neue Rechte geltend gemacht, insbesondere von den Sportlern, die eine Beteiligung an den wirtschaftlichen Gewinnen der Spiele und Redefreiheit (wie bei der Fussball-Weltmeisterschaft in Katar und bei der Europameisterschaft 2020) fordern.

Abbildung 1. 4 Momente in den Beziehungen zwischen Olympischen Spielen und Menschenrechten

Abbildung: Alix d’Agostino, DeFacto

Implikationen für Entscheidungsträger:innen

Die Verabschiedung der Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte durch die UNO 2011 markieren einen bedeutenden Wendepunkt. Die Achtung der Menschenrechte obliegt damit nicht mehr nur den Staaten, sondern auch den Unternehmen, zu denen auch die grossen internationalen Sportverbände wie die FIFA und das IOC gehören. Sie alle haben diese Grundsätze in ihren Statuten verankert und ändern ihre Verträge entsprechend ab. Diese Prinzipien der Unternehmensverantwortung sind in der Schweizer Gesetzgebung auf ein Minimum beschränkt (indirekter Gegenvorschlag des Bundesrates nach einer Abstimmung im Jahr 2020, die vom Volk, aber nicht von den Kantonen angenommen wurde) und müssen zweifellos im Hinblick auf die Ad-hoc-Verordnung der EU, die derzeit verabschiedet wird, verstärkt werden.


Bemerkung: Dieser Artikel wurde im Rahmen des IDHEAP Policy Brief No. 7 veröffentlicht.

Referenzen:

  • Chappelet J.-L. (2022). The Olympics’ evolving relationship with human rights: An ongoing affair.
    Sport in Society 25(1), 1-22.

  • Keys, Barbara J. (2019). The Ideals of Global Sport: From Peace to Human Rights. Philadelphia, University of Pennsylvania Press.

Bild: unsplash.com