Informationsverhalten vor Wahlen: Digitale Informationsquellen ergänzen, aber substituieren traditionelle Medien nicht

Bei den Par­la­ments­wah­len im Okto­ber 2023 haben knapp 25% der Wähler:innen die Online-Wahl­hil­fe «smart­vo­te» als Infor­ma­ti­ons­quel­le und Ent­schei­dungs­hil­fe benutzt. Einer der wich­tigs­ten Grün­de dafür dürf­te gewe­sen sein, dass smart­vo­te eine effi­zi­en­te Mög­lich­keit bie­tet, sei­ne eige­nen Posi­tio­nen zu einer Viel­zahl poli­ti­scher The­men mit den­je­ni­gen von hun­der­ten Kan­di­die­ren­den zu ver­glei­chen. Gera­de an die­sem Punkt hat sich in der Ver­gan­gen­heit aber auch immer wie­der Kri­tik an smart­vo­te ent­zün­det. Es wur­de befürch­tet, dass sich die Wähler:innen ein­fach von einem Algo­rith­mus infor­mie­ren las­sen und sich nicht mehr die Mühe machen, ande­re Infor­ma­ti­ons­quel­len zu kon­sul­tie­ren. In die­sem Bei­trag wird nun zum ers­ten Mal der Fra­ge nach­ge­gan­gen, wie sich die smartvote-Benutzer:innen infor­mie­ren und inwie­fern sich ihr Infor­ma­ti­ons­ver­hal­ten von dem­je­ni­gen der übri­gen Wähler:innen unterscheidet.

Im Rah­men einer Stu­die des NFP 77 «Digi­ta­le Trans­for­ma­ti­on» wur­de in einem Umfra­ge­ex­pe­ri­ment das Infor­ma­ti­ons­ver­hal­ten der Wähler:innen im Vor­feld der Natio­nal- und Stän­de­rats­wah­len 2023 unter­sucht. Dazu wur­den knapp 4’000 Wahl­be­rech­tig­te sechs Wochen vor der Wahl ein ers­tes Mal befragt und danach per Zufalls­prin­zip in je eine Test- und Kon­troll­grup­pe ein­ge­teilt. Die Test­grup­pe erhielt jeweils fünf und drei Wochen vor den Wah­len eine E‑Mail, die sie auf die Mög­lich­keit hin­ge­wie­sen hat, smart­vo­te zu benut­zen. Abschlies­send wur­den bei­de Grup­pen in der Woche nach den Wah­len noch­mals befragt. Die­ses For­schungs­de­sign erlaubt es, das Infor­ma­ti­ons­ver­hal­ten sowohl der­je­ni­gen, die smart­vo­te benut­zen, als auch der­je­ni­gen, die die Wahl­hil­fe nicht benut­zen, getrennt zu unter­su­chen. In der Abbil­dung 1 fin­den sich die Nut­zungs­zah­len der bei­den Grup­pen zu den wich­tigs­ten Infor­ma­ti­ons­quel­len. Zusätz­lich wird auch noch die Nut­zung der Infor­ma­ti­ons­quel­len für die smartvote-Benutzer:innen aus der Kon­troll­grup­pe geson­dert aus­ge­wie­sen. Da die­se kei­ne Hin­weis-Mail erhal­ten haben, stel­len sie die «A prio­ri smartvote-Benutzer:innen» dar.

Abbildung 1: Informationsquellen im Vorfeld der National- und Ständeratswahlen 2023

Abbil­dung: Alix d’Agostino, DeFac­to • Daten­quel­le: durch­ge­führ­te Umfrage

Gene­rell zeigt sich ein Bild, das man auch aus ande­ren Stu­di­en zum Infor­ma­ti­ons­ver­hal­ten im Vor­feld von Wah­len kennt: Die tra­di­tio­nel­len Infor­ma­ti­ons­quel­len (Zei­tun­gen und TV) sowie Gesprä­che mit Fami­lie und Freun­den stel­len die wich­tigs­ten Infor­ma­ti­ons­quel­len dar. Dies ist bei allen unter­such­ten Grup­pen der Fall. Es zei­gen sich aber auch inter­es­san­te Unter­schie­de. Die smartvote-Benutzer:innen wei­sen bei den digi­ta­len Infor­ma­ti­ons­quel­len wie Social Media, Mes­sen­ger-Apps, Par­tei­en-Web­sites oder dem Inter­net gene­rell deut­lich höhe­re Nut­zungs­zah­len auf, die jedoch nicht zu Las­ten der Nut­zung der tra­di­tio­nel­len Medi­en gehen. Zudem fällt auf, dass sie auch deut­lich häu­fi­ger mit der Fami­lie, Freun­den oder auf der Arbeit über die Wah­len dis­ku­tie­ren. Bei den A priori-Benutzer:innen zeigt sich die­se Ten­denz sogar noch etwas ausgeprägter.

Es wur­de jedoch nicht nur danach gefragt, wel­che Infor­ma­ti­ons­quel­len benutzt wur­den, son­dern auch danach, was jeweils die wich­tigs­te Infor­ma­ti­ons­quel­le im Vor­feld der Wah­len gewe­sen ist (vgl. Abbil­dung 2). Wie­der­um zeigt sich, dass die tra­di­tio­nel­len Medi­en oben­auf schwin­gen. Sie stel­len nach wie vor klar am häu­figs­ten die pri­mä­re Infor­ma­ti­ons­quel­le dar. Dies gilt eben­falls für die smartvote-Benutzer:innen, wenn auch deut­lich weni­ger stark aus­ge­prägt. Auch nut­zen sie deut­lich öfter das Inter­net und etwas häu­fi­ger Social Media als pri­mä­re Infor­ma­ti­ons­quel­le. Mes­sen­ger-Apps spie­len hin­ge­gen gene­rell ledig­lich eine unter­ge­ord­ne­te Rol­le. Wie­der­um zeigt sich bei den A prio­ri smartvote-Benutzer:innen die glei­chen Ten­den­zen wie bei den übri­gen smartvote-Benutzer:innen, wenn auch noch etwas akzentuierter.

Abbildung 2: Wichtigste Informationsquelle im Vorfeld der National- und Ständeratswahlen 2023

Abbil­dung: Alix d’Agostino, DeFac­to • Daten­quel­le: durch­ge­führ­te Umfrage

Neben dem Infor­ma­ti­ons­kon­sum wur­de in den Umfra­gen auch der Stand des poli­ti­schen Wis­sens erfasst. Dies geschah anhand von sechs Fra­gen zu all­ge­mei­nen (nicht nur wahl­spe­zi­fi­schen) Aspek­ten umfas­sen­der poli­ti­scher Kennt­nis­se. Auf der Basis der (kor­rek­ten) Ant­wor­ten zu die­sen sechs Fra­gen wur­de ein Index des poli­ti­schen Wis­sens von 0 bis 6 Punk­ten gebil­det. Vor dem Hin­ter­grund der bis­her prä­sen­tier­ten Ergeb­nis­se zei­gen sich nicht ganz uner­war­tet auch hier nur rela­tiv klei­ne Unter­schie­de. Die smartvote-Benutzer:innen ver­zeich­nen mit einem durch­schnitt­li­chen Index­stand von 3.8 Punk­ten nur ein leicht höhe­res poli­ti­sches Wis­sens­ni­veau als die übri­gen Wähler:innen mit 3.4 Punk­ten. Aller­dings wei­sen die smartvote-Benutzer:innen (und noch etwas aus­ge­präg­ter die Grup­pe der A priori-Benutzer:innen) einen deut­lich höhe­ren Anteil mit einem hohen bis sehr hohen Wis­sens­stand (5–6 Punk­te) auf (vgl. Abbil­dung 3).

Abbildung 3: Niveau des politischen Wissens

Abbil­dung: Alix d’Agostino, DeFac­to • Daten­quel­le: durch­ge­führ­te Umfrage

Fazit

Die Befürch­tung, dass sich smartvote-Benutzer:innen nur noch ober­fläch­lich infor­mie­ren und ande­re Infor­ma­ti­ons­quel­len nur noch unge­nü­gend kon­sul­tie­ren, erweist sich als nicht halt­bar. Smartvote-Benutzer:innen nut­zen die tra­di­tio­nel­len Medi­en genau so häu­fig wie die übri­gen Wähler:innen. Es kommt also zu kei­ner Sub­sti­tu­ti­on bzw. Ver­drän­gung der tra­di­tio­nel­len durch die neu­en digi­ta­len Infor­ma­ti­ons­quel­len. Viel­mehr wer­den digi­ta­le Medi­en zusätz­lich zu den tra­di­tio­nel­len Medi­en kon­su­miert, was sich in einem gene­rell höhe­ren Infor­ma­ti­ons­kon­sum nie­der­schlägt. Auch bezüg­lich des poli­ti­schen Wis­sens müs­sen sich die smartvote-Benutzer:innen nicht ver­ste­cken. Sie wei­sen einen über­durch­schnitt­li­chen Wis­sens­stand auf. Inter­es­san­ter­wei­se führt die Benut­zung von smart­vo­te auch nicht zu weni­ger direk­ten Dis­kus­sio­nen mit Fami­lie und Freun­den über Poli­tik und die Wah­len. Der zusätz­li­che digi­ta­le Infor­ma­ti­ons­kon­sum geht also auch nicht zu Las­ten der per­sön­li­chen Kon­tak­te und Gesprä­che. Es scheint sich zu erhär­ten, was sich bereits in den ers­ten For­schungs­ar­bei­ten zu smart­vo­te (vgl. Fivaz und Nadig 2010) ange­deu­tet hat: Die Benut­zung von smart­vo­te geht ein­her mit einem umfas­sen­de­ren und diver­se­ren Infor­ma­ti­ons­kon­sum und scheint auch zu ver­mehr­ten Dis­kus­sio­nen im Bekann­ten­kreis zu animieren.

Die­se Ergeb­nis­se kön­nen auch in einem brei­te­ren Kon­text inter­pre­tiert wer­den. Etwas ver­ein­facht kön­nen die smartvote-Benutzer:innen auch als «Pro­xies» für die gene­rell digi­tal­af­fi­nen Wähler:innen betrach­tet wer­den, die sich vor­wie­gend online infor­mie­ren. Inso­fern darf auf­grund der vor­lie­gen­den Stu­di­en­ergeb­nis­se ange­nom­men wer­den, dass es nicht nur unter den smartvote-Benutzer:innen zu kei­nem Ver­drän­gungs­ef­fekt bei den tra­di­tio­nel­len Medi­en durch rein digi­ta­le Infor­ma­ti­ons­ka­nä­le (ins­be­son­de­re Social Media und Mes­sen­ger-Apps) kommt, son­dern dass dies gene­rell bei den Wähler:innen mit einem aus­ge­präg­ten digi­ta­len Infor­ma­ti­ons­kon­sum der Fall sein sollte.

Metho­de
Die aus­ge­wer­te­ten Daten stam­men aus einer Stu­die, die im Rah­men der Par­la­ments­wah­len vom 22. Okto­ber 2023 durch­ge­führt wur­de. Die Stu­die beinhal­tet zwei Umfra­ge­wel­len – eine vor und eine nach den Wah­len. Aus­ge­wer­tet wur­den die Anga­ben von 2’338 nach Alters­grup­pe, Geschlecht und Wohn­kan­ton gewich­te­ten Wähler:innen.
NFP 77 – Digi­ta­le Transformation
Im Natio­na­len For­schungs­pro­gramm (NFP 77) for­schen Wissenschaftler:innen in 46 For­schungs­pro­jek­ten zum The­ma „Digi­ta­le Trans­for­ma­ti­on“. Das Haupt­ziel des NFP 77 Pro­gramms ist die Erar­bei­tung von Wis­sen über Chan­cen, Risi­ken, Her­aus­for­de­run­gen und Lösun­gen der Digi­ta­li­sie­rung für die Schweiz.

Refe­renz:

  • Fivaz, Jan und Gior­gio Nadig (2010). Impact of Voting Advice App­li­ca­ti­ons (VAAs) on Voter Tur­nout and Their Poten­ti­al Use for Civic Edu­ca­ti­on. In: Poli­cy & Inter­net, 2(4): 167–200.

Der Arti­kel wur­de von Remo Pari­si bearbeitet.

Bild: unsplash.com

image_pdfimage_print