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Informationsverhalten vor Wahlen: Digitale Informationsquellen ergänzen, aber substituieren traditionelle Medien nicht

Jan Fivaz, Nathalie Giger, Daniel Schwarz, Maxime Walder
22nd April 2024

Bei den Parlamentswahlen im Oktober 2023 haben knapp 25% der Wähler:innen die Online-Wahlhilfe «smartvote» als Informationsquelle und Entscheidungshilfe benutzt. Einer der wichtigsten Gründe dafür dürfte gewesen sein, dass smartvote eine effiziente Möglichkeit bietet, seine eigenen Positionen zu einer Vielzahl politischer Themen mit denjenigen von hunderten Kandidierenden zu vergleichen. Gerade an diesem Punkt hat sich in der Vergangenheit aber auch immer wieder Kritik an smartvote entzündet. Es wurde befürchtet, dass sich die Wähler:innen einfach von einem Algorithmus informieren lassen und sich nicht mehr die Mühe machen, andere Informationsquellen zu konsultieren. In diesem Beitrag wird nun zum ersten Mal der Frage nachgegangen, wie sich die smartvote-Benutzer:innen informieren und inwiefern sich ihr Informationsverhalten von demjenigen der übrigen Wähler:innen unterscheidet.

Im Rahmen einer Studie des NFP 77 «Digitale Transformation» wurde in einem Umfrageexperiment das Informationsverhalten der Wähler:innen im Vorfeld der National- und Ständeratswahlen 2023 untersucht. Dazu wurden knapp 4'000 Wahlberechtigte sechs Wochen vor der Wahl ein erstes Mal befragt und danach per Zufallsprinzip in je eine Test- und Kontrollgruppe eingeteilt. Die Testgruppe erhielt jeweils fünf und drei Wochen vor den Wahlen eine E-Mail, die sie auf die Möglichkeit hingewiesen hat, smartvote zu benutzen. Abschliessend wurden beide Gruppen in der Woche nach den Wahlen nochmals befragt. Dieses Forschungsdesign erlaubt es, das Informationsverhalten sowohl derjenigen, die smartvote benutzen, als auch derjenigen, die die Wahlhilfe nicht benutzen, getrennt zu untersuchen. In der Abbildung 1 finden sich die Nutzungszahlen der beiden Gruppen zu den wichtigsten Informationsquellen. Zusätzlich wird auch noch die Nutzung der Informationsquellen für die smartvote-Benutzer:innen aus der Kontrollgruppe gesondert ausgewiesen. Da diese keine Hinweis-Mail erhalten haben, stellen sie die «A priori smartvote-Benutzer:innen» dar.

Abbildung 1: Informationsquellen im Vorfeld der National- und Ständeratswahlen 2023

Abbildung: Alix d’Agostino, DeFacto • Datenquelle: durchgeführte Umfrage

Generell zeigt sich ein Bild, das man auch aus anderen Studien zum Informationsverhalten im Vorfeld von Wahlen kennt: Die traditionellen Informationsquellen (Zeitungen und TV) sowie Gespräche mit Familie und Freunden stellen die wichtigsten Informationsquellen dar. Dies ist bei allen untersuchten Gruppen der Fall. Es zeigen sich aber auch interessante Unterschiede. Die smartvote-Benutzer:innen weisen bei den digitalen Informationsquellen wie Social Media, Messenger-Apps, Parteien-Websites oder dem Internet generell deutlich höhere Nutzungszahlen auf, die jedoch nicht zu Lasten der Nutzung der traditionellen Medien gehen. Zudem fällt auf, dass sie auch deutlich häufiger mit der Familie, Freunden oder auf der Arbeit über die Wahlen diskutieren. Bei den A priori-Benutzer:innen zeigt sich diese Tendenz sogar noch etwas ausgeprägter.

Es wurde jedoch nicht nur danach gefragt, welche Informationsquellen benutzt wurden, sondern auch danach, was jeweils die wichtigste Informationsquelle im Vorfeld der Wahlen gewesen ist (vgl. Abbildung 2). Wiederum zeigt sich, dass die traditionellen Medien obenauf schwingen. Sie stellen nach wie vor klar am häufigsten die primäre Informationsquelle dar. Dies gilt ebenfalls für die smartvote-Benutzer:innen, wenn auch deutlich weniger stark ausgeprägt. Auch nutzen sie deutlich öfter das Internet und etwas häufiger Social Media als primäre Informationsquelle. Messenger-Apps spielen hingegen generell lediglich eine untergeordnete Rolle. Wiederum zeigt sich bei den A priori smartvote-Benutzer:innen die gleichen Tendenzen wie bei den übrigen smartvote-Benutzer:innen, wenn auch noch etwas akzentuierter.

Abbildung 2: Wichtigste Informationsquelle im Vorfeld der National- und Ständeratswahlen 2023

Abbildung: Alix d’Agostino, DeFacto • Datenquelle: durchgeführte Umfrage

Neben dem Informationskonsum wurde in den Umfragen auch der Stand des politischen Wissens erfasst. Dies geschah anhand von sechs Fragen zu allgemeinen (nicht nur wahlspezifischen) Aspekten umfassender politischer Kenntnisse. Auf der Basis der (korrekten) Antworten zu diesen sechs Fragen wurde ein Index des politischen Wissens von 0 bis 6 Punkten gebildet. Vor dem Hintergrund der bisher präsentierten Ergebnisse zeigen sich nicht ganz unerwartet auch hier nur relativ kleine Unterschiede. Die smartvote-Benutzer:innen verzeichnen mit einem durchschnittlichen Indexstand von 3.8 Punkten nur ein leicht höheres politisches Wissensniveau als die übrigen Wähler:innen mit 3.4 Punkten. Allerdings weisen die smartvote-Benutzer:innen (und noch etwas ausgeprägter die Gruppe der A priori-Benutzer:innen) einen deutlich höheren Anteil mit einem hohen bis sehr hohen Wissensstand (5-6 Punkte) auf (vgl. Abbildung 3).

Abbildung 3: Niveau des politischen Wissens

Abbildung: Alix d’Agostino, DeFacto • Datenquelle: durchgeführte Umfrage

Fazit

Die Befürchtung, dass sich smartvote-Benutzer:innen nur noch oberflächlich informieren und andere Informationsquellen nur noch ungenügend konsultieren, erweist sich als nicht haltbar. Smartvote-Benutzer:innen nutzen die traditionellen Medien genau so häufig wie die übrigen Wähler:innen. Es kommt also zu keiner Substitution bzw. Verdrängung der traditionellen durch die neuen digitalen Informationsquellen. Vielmehr werden digitale Medien zusätzlich zu den traditionellen Medien konsumiert, was sich in einem generell höheren Informationskonsum niederschlägt. Auch bezüglich des politischen Wissens müssen sich die smartvote-Benutzer:innen nicht verstecken. Sie weisen einen überdurchschnittlichen Wissensstand auf. Interessanterweise führt die Benutzung von smartvote auch nicht zu weniger direkten Diskussionen mit Familie und Freunden über Politik und die Wahlen. Der zusätzliche digitale Informationskonsum geht also auch nicht zu Lasten der persönlichen Kontakte und Gespräche. Es scheint sich zu erhärten, was sich bereits in den ersten Forschungsarbeiten zu smartvote (vgl. Fivaz und Nadig 2010) angedeutet hat: Die Benutzung von smartvote geht einher mit einem umfassenderen und diverseren Informationskonsum und scheint auch zu vermehrten Diskussionen im Bekanntenkreis zu animieren.

Diese Ergebnisse können auch in einem breiteren Kontext interpretiert werden. Etwas vereinfacht können die smartvote-Benutzer:innen auch als «Proxies» für die generell digitalaffinen Wähler:innen betrachtet werden, die sich vorwiegend online informieren. Insofern darf aufgrund der vorliegenden Studienergebnisse angenommen werden, dass es nicht nur unter den smartvote-Benutzer:innen zu keinem Verdrängungseffekt bei den traditionellen Medien durch rein digitale Informationskanäle (insbesondere Social Media und Messenger-Apps) kommt, sondern dass dies generell bei den Wähler:innen mit einem ausgeprägten digitalen Informationskonsum der Fall sein sollte.

Methode
Die ausgewerteten Daten stammen aus einer Studie, die im Rahmen der Parlamentswahlen vom 22. Oktober 2023 durchgeführt wurde. Die Studie beinhaltet zwei Umfragewellen – eine vor und eine nach den Wahlen. Ausgewertet wurden die Angaben von 2'338 nach Altersgruppe, Geschlecht und Wohnkanton gewichteten Wähler:innen.

NFP 77 – Digitale Transformation
Im Nationalen Forschungsprogramm (NFP 77) forschen Wissenschaftler:innen in 46 Forschungsprojekten zum Thema „Digitale Transformation“. Das Hauptziel des NFP 77 Programms ist die Erarbeitung von Wissen über Chancen, Risiken, Herausforderungen und Lösungen der Digitalisierung für die Schweiz.


Referenz:

  • Fivaz, Jan und Giorgio Nadig (2010). Impact of Voting Advice Applications (VAAs) on Voter Turnout and Their Potential Use for Civic Education. In: Policy & Internet, 2(4): 167-200.

Der Artikel wurde von Remo Parisi bearbeitet.

Bild: unsplash.com