Das Profil der städtischen Linken, 1910–2020: von ArbeiterInnen zu BeamtInnen

In der 38. Aus­ga­be der Zeit­schrift Social Chan­ge in Switz­er­land zei­gen Bap­tis­te Anto­niaz­za und sei­ne Kol­le­gen, wie sich seit 1910 das Pro­fil der lin­ken Volks­ver­tre­te­rIn­nen in den vier gröss­ten Schwei­zer Städ­ten ver­än­dert hat. Wur­de die städ­ti­sche Lin­ke bis in die 1950er Jah­re von Arbei­te­rIn­nen domi­niert, stam­men ihre gewähl­ten Ver­tre­te­rIn­nen seit 1980 mehr­heit­lich aus der lohn­ab­hän­gi­gen Mit­tel­schicht. Im Jahr 2020 ver­füg­ten drei Vier­tel der gewähl­ten Lin­ken in den gros­sen Schwei­zer Städ­ten über einen Hoch­schul­ab­schluss – ver­gli­chen mit 59% bei den bür­ger­li­chen Parteien.

Anhand der bio­gra­fi­schen Daten von 2743 gewähl­ten Per­so­nen in den Exe­ku­ti­ven und Legis­la­ti­ven von Basel-Stadt, Genf, Lau­sanne und Zürich zei­gen die drei Poli­to­lo­gen auf, wie sich das Aus­bil­dungs- und Berufs­pro­fil der Poli­ti­ke­rIn­nen zwi­schen 1910 und 2020 ver­än­dert hat. In der ers­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts war der Anteil der Hoch­schul­ab­sol­ven­tIn­nen unter den lin­ken Poli­ti­ke­rIn­nen gerin­ger als unter den rech­ten (37% gegen­über 50% im Jahr 1937). Ein Wen­de­punkt trat zwi­schen 1980 und 2000 ein. Seit­dem wei­sen die sozi­al­de­mo­kra­ti­schen und grü­nen Frak­tio­nen einen deut­lich höhe­ren Anteil an
Hoch­schul­ab­sol­ven­tIn­nen auf als die bür­ger­li­chen Fraktionen.

Die auf­fäl­ligs­te Ver­än­de­rung betrifft das fast voll­stän­di­ge Ver­schwin­den von lin­ken Poli­ti­ke­rIn­nen, die einen manu­el­len Beruf aus­üben. Wäh­rend sie zwi­schen 1910 und 1957 die gröss­te Grup­pe inner­halb der städ­ti­schen Lin­ken bil­de­ten, machen sie 2020 nur noch 1% aus. Ihr Anteil in den bür­ger­li­chen Par­tei­en ist heu­te mit 5% höher. In den Frak­tio­nen der lin­ken Par­tei­en wur­den die Pro­duk­ti­ons­ar­bei­te­rIn­nen durch sozio­kul­tu­rel­le Fach­kräf­te ersetzt, d.h. qua­li­fi­zier­te Ange­stell­te, die im Bildungs‑, Gesundheits‑, Sozi­al- und Kul­tur­be­reich tätig sind.

Durch die­se Ver­än­de­run­gen hat sich das beruf­li­che Pro­fil der lin­ken und bür­ger­li­chen Poli­ti­ke­rIn­nen ange­gli­chen. Eini­ge wesent­li­che Unter­schie­de ver­blei­ben jedoch im Jahr 2020. Wäh­rend der Anteil der Frei­be­ruf­li­chen in den lin­ken (25%) und rech­ten (34%) Frak­tio­nen hoch ist, fin­den sich in den bür­ger­li­chen Par­tei­en mehr Rechts­an­wäl­tIn­nen und in den lin­ken Par­tei­en mehr Archi­tek­tIn­nen, Inge­nieu­rIn­nen und Ärz­tIn­nen. Zudem zäh­len die bür­ger­li­chen Frak­tio­nen mehr Unter­neh­me­rIn­nen, wäh­rend die lin­ken Man­dats­trä­ge­rIn­nen häu­fi­ger im öffent­li­chen Dienst tätig sind.


Refe­renz

Anto­niaz­za, Bap­tis­te, Mach, André, & Stre­bel, Micha­el Andrea (2024). Das Pro­fil der Poli­ti­ke­rIn­nen lin­ker Par­tei­en in gros­sen Schwei­zer Städ­ten, 1910–2020. Social Chan­ge in Switz­er­land, N°38, www.socialchangeswitzerland.ch / http://doi.org/10.22019/SC-2024–00003

Kon­takt

Bap­tis­te Anto­niaz­za, Uni­ver­si­té de Lau­sanne, +41 79 539 27 59, baptiste.antoniazza@unil.ch

Bild: flickr.com

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