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Das Profil der städtischen Linken, 1910–2020: von ArbeiterInnen zu BeamtInnen

Baptiste Antoniazza, André Mach, Michael A. Strebel
19th Juni 2024

In der 38. Ausgabe der Zeitschrift Social Change in Switzerland zeigen Baptiste Antoniazza und seine Kollegen, wie sich seit 1910 das Profil der linken VolksvertreterInnen in den vier grössten Schweizer Städten verändert hat. Wurde die städtische Linke bis in die 1950er Jahre von ArbeiterInnen dominiert, stammen ihre gewählten VertreterInnen seit 1980 mehrheitlich aus der lohnabhängigen Mittelschicht. Im Jahr 2020 verfügten drei Viertel der gewählten Linken in den grossen Schweizer Städten über einen Hochschulabschluss – verglichen mit 59% bei den bürgerlichen Parteien.

Anhand der biografischen Daten von 2743 gewählten Personen in den Exekutiven und Legislativen von Basel-Stadt, Genf, Lausanne und Zürich zeigen die drei Politologen auf, wie sich das Ausbildungs- und Berufsprofil der PolitikerInnen zwischen 1910 und 2020 verändert hat. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war der Anteil der HochschulabsolventInnen unter den linken PolitikerInnen geringer als unter den rechten (37% gegenüber 50% im Jahr 1937). Ein Wendepunkt trat zwischen 1980 und 2000 ein. Seitdem weisen die sozialdemokratischen und grünen Fraktionen einen deutlich höheren Anteil an
HochschulabsolventInnen auf als die bürgerlichen Fraktionen.

Die auffälligste Veränderung betrifft das fast vollständige Verschwinden von linken PolitikerInnen, die einen manuellen Beruf ausüben. Während sie zwischen 1910 und 1957 die grösste Gruppe innerhalb der städtischen Linken bildeten, machen sie 2020 nur noch 1% aus. Ihr Anteil in den bürgerlichen Parteien ist heute mit 5% höher. In den Fraktionen der linken Parteien wurden die ProduktionsarbeiterInnen durch soziokulturelle Fachkräfte ersetzt, d.h. qualifizierte Angestellte, die im Bildungs-, Gesundheits-, Sozial- und Kulturbereich tätig sind.

Durch diese Veränderungen hat sich das berufliche Profil der linken und bürgerlichen PolitikerInnen angeglichen. Einige wesentliche Unterschiede verbleiben jedoch im Jahr 2020. Während der Anteil der Freiberuflichen in den linken (25%) und rechten (34%) Fraktionen hoch ist, finden sich in den bürgerlichen Parteien mehr RechtsanwältInnen und in den linken Parteien mehr ArchitektInnen, IngenieurInnen und ÄrztInnen. Zudem zählen die bürgerlichen Fraktionen mehr UnternehmerInnen, während die linken MandatsträgerInnen häufiger im öffentlichen Dienst tätig sind.


Referenz

Antoniazza, Baptiste, Mach, André, & Strebel, Michael Andrea (2024). Das Profil der PolitikerInnen linker Parteien in grossen Schweizer Städten, 1910-2020. Social Change in Switzerland, N°38, www.socialchangeswitzerland.ch / http://doi.org/10.22019/SC-2024-00003

Kontakt

Baptiste Antoniazza, Université de Lausanne, +41 79 539 27 59, baptiste.antoniazza@unil.ch

Bild: flickr.com