Einleitung
Die Bundesversammlung setzt sich aus Milizparlamentarier:innen zusammen, die während ihrer gesamten Amtszeit weiterhin berufstätig sind. Diese Besonderheit unseres politischen Systems kann die gleichzeitige Ausübung eines Wahlamtes und einer beruflichen Tätigkeit erschweren. In unserer Forschungsarbeit untersuchen wir einerseits, wie ehemalige Abgeordnete ihr berufliches und politisches Engagement miteinander vereinbart, und andererseits, den Übergang zwischen dem Ende ihres Mandats und der Wiederaufnahme ihrer beruflichen Tätigkeit.
In Fortsetzung unserer Studien aus den Jahren 2019 (Assanti et al., 2019) und 2021 (Bhatia et al., 2021) haben wir die Einschätzung der aus dem Amt geschiedenen Abgeordneten der letzten Legislaturperiode (2019-2023) eingeholt. Unter Einschluss der vorliegenden Studie umfasst die Stichprobe der letzten zehn Legislaturperioden 402 Antworten und ist in Bezug auf Geschlecht, Sprache und Partei repräsentativ.
Analyse der Datenbasis
Die neuen Daten zeigen, dass 43 % der ehemaligen Abgeordneten die Vereinbarkeit der beiden Tätigkeiten als schwierig empfinden. Diese Schwierigkeit wird von Frauen stärker wahrgenommen: 2023 betrachten 64 % der weiblichen ehemaligen Abgeordneten die Vereinbarkeit schwierig, bei den Männern waren es lediglich 37 %. Darüber hinaus lässt sich ein deutlicher Unterschied zwischen Parteien des linken und rechten Spektrums feststellen. Grosse Schwierigkeiten sehen vor allem Angehörige der Sozialdemokratischen Partei (54 %) und der Grünen (62 %).
Zahlreiche Parlamentarier:innen reduzieren ihre berufliche Tätigkeit während ihrer Amtszeit (72 %). Es gibt keinen signifikanten Unterschied in Bezug auf das Geschlecht, aber die Verringerung des beruflichen Beschäftigungsgrads ist nach wie vor am stärksten bei den Grünen (89 %) und den ehemaligen Abgeordneten der Mitte (82 %).
Die Vereinbarkeit von parlamentarischer Arbeit und Berufstätigkeit ist im Laufe der Legislatur- perioden immer schwieriger geworden: Die Zahl der Abgeordneten, die diese Kombination als sehr schwierig wahrnehmen, hat sich im Vergleich zur 42. Legislaturperiode (1983-1987) verdoppelt, wobei die Zunahme bei den weiblichen Abgeordneten seit 1995 (45. Legislaturperiode) besonders stark ist.
Die 2023 aus dem Amt geschiedenen Abgeordneten bestätigen die bereits 2019 sichtbare Tendenz: Das politische Amt wird im Allgemeinen als beruflich vorteilhaft angesehen, mit einer bemerkenswerten Ausnahme bei den Grünen, die zu 40 % anderer Ansicht sind. Weiterhin sind 47 % der Befragten der Meinung, dass ihr Mandat in der Bundesversammlung ihr berufliches Fortkommen nicht behindert hat. Das gilt insbesondere für die Mitglieder der FDP.
Die neuen Daten bestätigen auch, dass die wahrgenommenen Schwierigkeiten beim beruflichen Wiedereinstieg zunehmen (siehe Abbildung 1). Dies gilt vor allem für die Frauen (44 %) und die Mitglieder der linken Parteien (44 %).
Abbildung 1. Anteil der Befragten, die den Übergang als schwierig empfinden, nach Geschlecht und politischer Ausrichtung
Abbildung: Alix d’Agostino, DeFacto
Schlussfolgerung und Diskussion
Unsere Studie hat gezeigt, dass die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und politischem Mandat von den ehemaligen Abgeordneten im Allgemeinen als schwierig wahrgenommen wird, insbesondere von Frauen und linken Parlamentarier:innen. Im Gegensatz dazu wird das Mandat insgesamt als beruflich vorteilhaft angesehen, und das politische Engagement wird nicht als Hindernis bei der Arbeitssuche gesehen, ausser von Mitgliedern der Grünen.
Die Ergebnisse unserer Studien, die durch die Daten für die Legislaturperiode 2019-2023 bestätigt werden, lassen sich mit der Entwicklung der Bundesversammlung in Verbindung bringen. Die Zahl der Abgeordneten zwischen 18 und 30 hat sich zwischen 2008 und 2020 mehr als verdoppelt. Zudem sind Frauen in der jüngsten Altersgruppe proportional höher als die der Männer. Das Parlament ist heute jünger und die Ausgewogenheit zwischen den Geschlechtern grösser, was dazu führt, dass die Vereinbarkeit mit einer Erwerbstätigkeit als schwieriger wahrgenommen wird. Der berufliche Wiedereinstieg nach einer Amtszeit im Schweizer Parlament könnte sich in der Zukunft als grosse Herausforderung erweisen.
Referenzen
Assanti, S., Gobet, M., Mabillard, V. & Pasquier, M. (2019). Activités, transition et réinsertion professionnelles des élu.es. Une étude auprès des ancien.nes parlementaires au niveau fédéral (1983-2015). Working Paper 7/2019, Institut de hautes études en administration publique de l’Université de Lausanne.
Bhatia, I., Gobet, M., & Pasquier, M. (2021) Activités, transition et réinsertion professionnelles des élu·e·s : Données 1983-2015 et étude complémentaire pour la législature 2015-2019. Working Paper 6/2021, Institut de hautes études en administration publique de l’Université de Lausanne.
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Bemerkung: dieser Beitrag stammt aus dem 9. IDHEAP Policy Brief. Er wurde von Robin Stähli, DeFacto, bearbeitet.