
Mehr bewaffnete Konflikte, aber nicht zwischen Staaten
Bewaffnete Konflikte haben extreme negative Folgen wie Tod, Vertreibung, Hunger und Zerstörung. Insbesondere die Zivilbevölkerung leidet darunter (Amnesty International 2024). Seit dem Ende des zweiten Weltkriegs 1945 gibt es allerdings weniger kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Staaten. Gleichzeitig gibt es aber mehr bewaffnete Konflikte innerhalb von Staaten (Lyall 2020, Davis, Engström, Petterson und Öberg 2024). Was erklärt diese gegenläufigen Trends?
Erklärungen des demokratischen Friedens
Vertreter*innen der liberalen Denkschule in der politikwissenschaftlichen Teildisziplin Internationale Beziehungen gehen davon aus, dass die Abnahme von zwischenstaatlichen Kriegen durch die Entstehung und Konsolidierung von Demokratien verursacht wird (Russet, Layne, Spiro und Doyle 1995). Die institutionelle Erklärung des demokratischen Friedens geht davon aus, dass Bevölkerungen gegen Krieg eingestellt seien, weil sie seine Kosten tragen müssten, z.B. durch Steuern und Kriegsdienst.
Freie und faire Wahlen gewährleisten, dass politische Eliten die Bevölkerungspräferenz für Frieden achten. Ausserdem sind Entscheidungen über Kriegseinsätze langsamer, öffentlicher und zuverlässiger als in Autokratien, da nicht nur Regierungen, sondern auch andere Institutionen wie Parlamente Mitsprache geniessen und die Medien Debatten über einen Kriegseintritt öffentlich machen. Aufgrund des längeren Zeithorizonts und der Transparenz können Demokratien untereinander durch Verhandlungen erfolgreich Konflikte deeskalieren (Reiter 2017).
Die kulturelle Erklärung für den demokratischen Frieden schlägt als Erklärung vor, dass Demokratien ihre friedliche politische Kultur in ihrer Aussenpolitik gegenüber anderen Demokratien externalisieren. Im Inneren lösen Demokratien Streitigkeiten im Parlament und in Gerichten, durch Gespräche und Verhandlungen. Nach Aussen greifen Demokratien daher eher auf Mediation und internationales Recht anstelle von Gewalt zurück (Reiter 2017).
Tatsächlich ist zwischen 1945 und 2010 nicht nur zwischenstaatlicher Krieg seltener, sondern auch Demokratie als Regierungsform häufiger geworden (V-Dem 2025). Zahlreiche Studien belegen diesen Zusammenhang zwischen Demokratie und Frieden (Reiter 2017). Demokratieförderung im Ausland gilt deshalb als Grundpfeiler für internationalen Frieden und Sicherheit. Zwischen 2009 und 2019 wurden von den USA mehr als 2 Milliarden US Dollar dafür ausgegeben (Congressional Research Services 2019).
Was erklärt Gewalt in Staaten
Allerdings sind Übergänge von Autokratien zu Demokratien nicht selten von Gewalt begleitet. Demokratisierungsprozesse führen zur Bildung von sogenannten hybriden Systemen, die weder vollständig demokratisch noch vollständig autokratisch sind. Hybride Regierungssysteme leiden eher unter bewaffneten Konflikten (Hegre 2001; Jones & Lupu 2018), weil die Opposition nicht mehr vollständig unterdrückt wird und gleichzeitig effektive Beteiligungsmöglichkeiten für die verschiedenen Interessensgruppen der Gesellschaft fehlen. Auch mangelt es oft an machtbeschränkenden Institutionen wie starken Parlamenten oder unabhängigen Verfassungsgerichten, welche Konflikte innerhalb der politischen Elite lösen könnten (Fjelde, Knutsen und Nygard 2021).
Die vermehrte Entstehung hybrider Systeme ist eine Erklärung für den Anstieg innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nach 1945. Prominentere Erklärungen sind jedoch staatliche Diskriminierung und schwache Staatlichkeit. Nach 1945 haben immer mehr Staaten ihre Unabhängigkeit von den Kolonialmächten erlangt. Doch es fehlten eine friedensstiftende nationale Einheit und staatliche Institutionen, welche diese verfestigten. Diskriminierte ethnische Gruppen forderten Regierungsbeteiligung oder Autonomie, teilweise auch einen eigenen Staat. Staatliche Repression dieser Forderungen eskaliert oft in bewaffneten Konflikt (Cederman, Weidman und Gleditsch 2011).
Gleichzeitig hatten postkoloniale Staaten nur wenig Ressourcen für den Aufbau eines starken Staats (Dacil 2019). Vetternwirtschaft verhinderte die Bereitstellung öffentlicher Güter. Polizei und Militär blieben unterfinanziert. Schwache Staatlichkeit schafft so den Raum für kriminelle Netzwerke, Rebellen, Warlords und islamistische Gruppen (Fearon und Laitin 2003).
Demokratie ist kein Allheilmittel gegen Bürgerkrieg
Konsolidierte Demokratie macht die staatliche Benachteiligung ethnischer Gruppen unwahrscheinlicher und stärkt schwache Staaten. Zum Beispiel können konsensdemokratische Institutionen Konflikte zwischen ethnischen Gruppen befrieden (Borman, Cederman, Gates, Graham, Hug, Strom and Wucherpfennig 2018). Demokratien können auch Korruption kontrollieren, so dass staatliche Gelder tatsächlich in staatliche Strukturen und öffentliche Güter investiert werden (North, Wallis und Weingast 2009).
Allerdings ist Demokratisierung kein Allheilmittel gegen Krieg. Mali galt als eines der demokratischeren Länder Westafrikas, aber 2012 eskalierte dort (zum wiederholten Mal) ein bewaffneter Konflikt. Auch Grossbritannien ist eine Demokratie und trotzdem konnte ein über mehrere Jahrzehnte dauernder Bürgerkrieg im Landesteil Nordirland nicht beigelegt werden.
Macht externe Demokratieförderung Frieden unmöglich?
Demokratie kann also bewaffnete Konflikte nicht gänzlich verhindern und Übergänge von einem autokratischen zu einem demokratischen Regierungssystem sind häufig von Gewalt begleitet. Folgt daraus, dass die internationale Gemeinschaft externe Demokratieförderung stoppen sollte?
Die Forschung beantwortet diese Frage mit nein. Wenn internationale Massnahmen lokale Demokratisierungsbewegungen unterstützen, dann können sie zum Frieden und zur Konsolidierung der neuen demokratische Institutionen beitragen. Effektive Massnahmen können internationale Entwicklungshilfe sein, die nur an Regierungen ausgezahlt wird, wenn diese demokratische Prinzipien respektieren (Matanock 2017). Auch UNO-Friedensmissionen können durch ihre Signalwirkung als auch durch ihre konkreten Aktivitäten vor Ort lokale Demokratie unterstützen, wie zum Beispiel in Namibia, Nepal und Côte d’Ivoire (Fjelde und Smidt 2021; Blair, Di Salvatore und Smidt 2023).
Demokratie und Frieden in der Zukunft?
Leider gibt es im Jahr 2024 erstmals seit zwanzig Jahren auf der Welt wieder mehr Autokratien (91) als Demokratien (88). Auch ist zu beobachten, dass konsolidierte liberale Demokratien als Regierungsform am seltensten geworden sind. Autokratien und nicht-konsolidierte elektorale Demokratien sind häufiger (V-Dem 2025).
Gleichzeitig nehmen Investitionen in die internationale Demokratieförderung ab. Zum Beispiel haben UNO-Friedensmissionen heute weniger demokratiefördernde Aufgaben als noch vor zehn Jahren. Der Rückbau von USAID, der US-amerikanischen Regierungsorganisation, die für Demokratieförderung zuständig ist, zeigt diesen Trend ebenfalls an.
Die steigende Autokratisierungsrate sowie der Wegfall internationaler Demokratieförderung könnten zu mehr innerstaatlicher und zwischenstaatlicher Instabilität führen. Doch nicht zwangsläufig. Wie das Ende der Rivalität zwischen den USA und der Sowjetunion zusammen mit den erfolgreichen demokratischen Transitionen und dem Rückgang bewaffneter Konflikte in den 1990er Jahren zeigen, könnten Frieden und Demokratie durch gemeinsames internationales Handeln auch wieder gestärkt werden.
Hinweis: Dieser Beitrag beruht auf dem Referat „Demokratischer Frieden: Wunschvorstellung oder Realität?“, gehalten von Prof. Dr. Hannah Smidt an den Aarauer Demokratietagen vom 4. April 2025.
Referenzen:
- Amnesty International (2024). “Armed Conflict.” https://www.amnesty.org/en/what-we-do/armed-conflict/
- Blair, R. A., Di Salvatore, J., Smidt, H. M. (2023). UN Peacekeeping and Democratization in Conflict-Affected Countries. American Political Science Review 117.
- Bormann, N.-C., Cederman, L.-E., Gates, S., Graham, B. A. T., Hug, S., Strom, K. W., Wucherpfennig, J. (2019). Power-sharing: Institutions, Behavior, and Peace. American Journal of Political Science 63(1): 84-100.
- Cederman, L.-E., Weidman, N. and Gleditsch, K. S. (2011). «Horizontal Inequalities and Ethnonationalist Civil War: A Global Comparison.” American Political Science Review 105(3): 478-495.
- Congressional Research Services (2020). Democracy Promotion: An Objective of U.S. Foreign Assistance.
- Dacil, J. (2019). “Mining, Paternalism and the Spread of Education in the Congo since 1920.” African Economic History Working Paper Series, No. 46/2019.
- Davies, S., Engström, G., Pettersson, T., & Öberg, M. (2024). Organized violence 1989–2023, and the prevalence of organized crime groups. Journal of Peace Research, 61(4), 673-693.
- Faeron, J. and Laitin, D. (2003). “Ethnicity, Insurgency, and Civil War.” American Political Science Review 97(1): 75-90.
- Fjelde, H. and Smidt, H. (2021). “Protecting the Vote? Peacekeeping Presence and the Risk of Electoral Violence.” British Journal of Political Science 52(3): 1113-1132.
- Fjelde, H., Knutsen, C. H., and Nygard, H. M. (2021). “Which Institutions Matter? Re-Considering the Democratic Civil Peace.” International Studies Quarterly 65: 223-237.
- Hegre, H. (2001). Toward a Democratic Civil Peace? Democracy, Political Change, and Civil War, 1816–1992. American Political Science Review 95(1): 33-48.
- Jones, Z. and Lupu, Y. (2018). Is There More Violence in the Middle? American Journal of Political Science 62(3): 652-667.
- Lyall, J. (2020). Divided Armies: Inequality and Battlefield Performance in Modern War. International History and Politics Series. Princeton University Press.
- Matanock, A. (2017). Electing Peace. From Civil Conflict to Political Participation. Cambridge University Press.
- North, D. C., Wallis J. J., Weingast B. R. (2009). Violence and Social Orders: A Conceptual Framework for Interpreting Recorded Human History. Cambridge University Press.
- Reiter, D. (2017). Is Democracy a Cause of Peace?. Oxford Research Encyclopedia of Politics. Retrieved 3 Apr. 2025
- Russett, B., Layne, C., Spiro, D. E., & Doyle, M. W. (1995). The Democratic Peace. International Security, 19(4), 164–184.
- V-Dem (2025). Democracy Report 2025. 25 Years of Autocratization – Democracy Trumped?