Herr Huwyler, wie unabhängig sind eigentlich unsere Parlamentsmitglieder? 

Vie­le Mit­glie­der der eid­ge­nös­si­schen Räte haben Man­da­te von Inter­es­sen­grup­pen wie Ver­bän­den, Stif­tun­gen oder Fir­men inne. Davon pro­fi­tie­ren bei­de Sei­ten: die Par­la­ments­mit­glie­der wer­den für die­se Ämter häu­fig ent­schä­digt und erhal­ten Zugang zu Infor­ma­tio­nen, die Inter­es­sen­grup­pen ver­fü­gen über einen direk­ten Draht ins Bun­des­haus. Oli­ver Huwy­ler hat die Bezie­hun­gen zwi­schen Par­la­ments­mit­glie­dern und Inter­es­sen­grup­pen erforscht und erklärt, wie unab­hän­gig Par­la­ments­mit­glie­der über­haupt noch sind. 

Herr Huwy­ler, wel­che Par­la­ments­mit­glie­der haben Man­da­te von Orga­ni­sa­tio­nen inne? Gibt es gewis­se Mus­ter bzw. Unterschiede? 

Oli­ver Huwy­ler: Die ein­fa­che­re Fra­ge wäre wohl, wer in Bun­des­bern kei­ne sol­che Man­da­te hat. Stand Sep­tem­ber 2023 dekla­rier­ten ledig­lich fünf der 246 Par­la­ments­mit­glie­der kei­ne Inter­es­sen­bin­dun­gen. Die Grund­vor­aus­set­zung sol­cher Man­da­te ist in der Regel die ideo­lo­gi­sche Nähe zwi­schen Rats­mit­glie­dern und Inter­es­sen­grup­pen. So sehen wir etwa, dass Gewerk­schaf­ten durch lin­ke, Wirt­schafts­ver­bän­de durch bür­ger­li­che Par­la­ments­mit­glie­der ver­tre­ten wer­den. Es gibt aber auch Aus­nah­men. In Berei­chen wie Kul­tur, Sport oder Phil­an­thro­pie sind die Man­da­te ideo­lo­gisch brei­ter durchmischt.

Was bedeu­tet es kon­kret, wenn ein Par­la­ments­mit­glied ein Man­dat von einer Orga­ni­sa­ti­on inne­hat? Sind Par­la­ments­mit­glie­der auch Lobbyisten? 

Die Par­la­ments­mit­glie­der sind über Pos­ten in Vor­stän­den, Geschäfts­lei­tun­gen oder Bei­rä­ten in die Inter­es­sen­grup­pen ein­ge­bun­den. So wis­sen sie nicht nur um die Zie­le und Absich­ten die­ser Orga­ni­sa­tio­nen, son­dern prä­gen sie mit. In der Fol­ge agie­ren sie als deren Für­spre­cher im Natio­nal- und Stän­de­rat. Die Inter­es­sen­bin­dun­gen beein­flus­sen ihre Voten im Ple­num und den Kom­mis­sio­nen, ihre Vor­stös­se und sogar ihr Abstimmungsverhalten.

Wen ver­tre­ten die Par­la­ments­mit­glie­der eigentlich?

Die Par­la­ments­mit­glie­der ver­su­chen gleich­zei­tig den Erwar­tun­gen ihrer Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler, ihrer Par­tei und «ihrer» Inter­es­sen­grup­pen gerecht zu wer­den. Wenn sich deren Prä­fe­ren­zen decken, ist das unkom­pli­ziert. Wenn nicht, müs­sen sich die Rats­mit­glie­der für eine Posi­ti­on ent­schei­den. Die For­schung zeigt, dass sich Inter­es­sen­grup­pen vor allem in bestimm­ten Kon­stel­la­tio­nen gut behaup­ten. Wenn poli­ti­sche Geschäf­te wenig Medi­en­auf­merk­sam­keit erfah­ren, die Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler schlecht infor­miert und die Inter­es­sen­bin­dun­gen beson­ders gut ent­löhnt sind, ver­tre­ten die Rats­mit­glie­der häu­fi­ger die Posi­tio­nen der Interessengruppen. 

Sind die Ver­bin­dun­gen von Inter­es­sen­grup­pen und Par­la­ments­mit­glie­der ein Pro­blem? Müss­te man unser Sys­tem grund­le­gend reformieren?

Das gegen­wär­ti­ge Sys­tem hat den gros­sen Vor­teil, dass viel Wis­sen aus Gesell­schaft und Wirt­schaft schnell Ein­gang fin­det ins Par­la­ment. Gleich­zei­tig ist es dis­kri­mi­nie­rend. Es besteht eine Zwei­klas­sen­ge­sell­schaft der Inter­es­sen­grup­pen, in der es jene mit und jene ohne «eige­ne» Rats­mit­glie­der gibt. Zudem besteht gera­de bei Man­da­ten mit sehr hoher Ent­löh­nung die Gefahr star­ker Abhän­gig­kei­ten. Eine Reform des Sys­tems ist daher not­wen­dig, gleich­zei­tig aber poli­tisch schwer umsetz­bar: Die Abhän­gig­keit von Inter­es­sen­grup­pen ist eine Fol­ge des Miliz­sys­tems. Ein mög­li­ches Mit­tel wäre daher mehr Ein­kom­mens­trans­pa­renz. Die­se kann zu einer stär­ke­ren Selbst­re­gu­lie­rung bei der Wahl der Inter­es­sen­bin­dun­gen füh­ren ohne dabei an den Grund­fes­ten des Miliz­sys­tems zu rütteln.


Oli­ver Huwyler
Oli­ver Huwy­ler ist Poli­tik­wis­sen­schaft­ler und beschäf­tigt sich mit dem Ver­hal­ten von Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­kern, poli­ti­schen Kar­rie­ren sowie Inter­es­sen­ver­tre­tung und Lob­by­ing. Er hat an der Uni­ver­si­tät Basel über die Ver­bin­dun­gen zwi­schen Par­la­ments­mit­glie­dern und Inter­es­sen­grup­pen dok­to­riert. Seit Sep­tem­ber 2021 ist er Post­dok­to­rand im DEPART-Pro­jekt an der Uni­ver­si­tät Wien. Sei­ne For­schungs­tä­tig­keit führ­te ihn als Gast­wis­sen­schaft­ler an die Uni­ver­si­ty of North Caro­li­na in Cha­pel Hill. 

Web­sei­te

Bild: unsplash.com

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