Herr Strijbis, was ist ein Prognosemarkt?

Pro­gno­se­märk­te erfreu­en sich als Metho­de zur Wahl­pro­gno­se immer grös­se­rer Beliebt­heit. Doch was ist ein Pro­gno­se­markt genau und wie zuver­läs­sig sind die Pro­gno­sen von Pro­gno­se­märk­te? Oli­ver Stri­j­bis lei­tet ver­schie­de­ne Pro­gno­se­märk­te. Er erklärt die Vor- und Nach­tei­le die­ser Methode.

Sie orga­ni­sie­ren Pro­gno­se­märk­te im Vor­feld von Wah­len. Was muss man sich dar­un­ter vorstellen?

Oli­ver Stri­j­bis: Eine Wahl­bör­se funk­tio­niert wie eine Finanz­bör­se – mit dem Unter­schied, dass kei­ne Unter­neh­mens-Akti­en, son­dern Akti­en künf­ti­ger Ereig­nis­se gehan­delt wer­den. Ein Ereig­nis wäre in unse­rem Bei­spiel, Dani­el Jositsch (SP) und Regi­ne Sau­ter (FDP) wer­den in den Stän­de­rat gewählt. Wenn die­ses Ereig­nis zutrifft, so erhält jede Aktie den Schluss­preis von 100 Spiel­fran­ken. Wenn das Ereig­nis nicht zutrifft, dann liegt der Schluss­wert bei null Spiel­fran­ken. Die Teil­neh­men­den haben daher einen Anreiz, Akti­en gemäss ihren Erwar­tun­gen über die Ein­tritts­wahr­schein­lich­keit zu han­deln. Wenn der aktu­el­le Preis bei­spiels­wei­se bei 50 Spiel­fran­ken liegt, ich aber den­ke, dass die Wahr­schein­lich­keit für die­ses Ereig­nis höher als 50% ist, so soll­te ich die­se Aktie kau­fen. Dies ist nichts ande­res als eine Wet­te, wes­halb Pro­gno­se­märk­te auch Wett­bör­sen genannt werden.

Wer nimmt am Pro­gno­se­markt teil?

Aktu­ell sind 300 Per­so­nen auf der Wahl­bör­se regis­triert. Davon haben bereits über 180 Akti­en gekauft oder ver­kauft. Die meis­ten Teil­neh­men­den sind ehe­ma­li­ge oder aktu­el­le Stu­die­ren­de der Poli­tik­wis­sen­schaft, vie­le von der Uni­ver­si­tät Zürich, eini­ge aber auch von ande­ren Schwei­zer Uni­ver­si­tä­ten. Indem vie­le Per­so­nen mit über­durch­schnitt­li­chem Wis­sen teil­neh­men, kom­bi­niert der Markt damit Aspek­te des Exper­ten­wis­sens mit der Schwarmintelligenz.

Gibt es nicht vor­aus­seh­ba­re Effek­te bzw. star­ke Beein­flus­sung der Teil­neh­men­den am Pro­gno­se­markt? Bei­spiels­wei­se nach der Publi­ka­ti­on von Wahl­um­fra­gen auf gros­sen Medienplattformen?

Bei Wah­len sind Umfra­gen die wich­tigs­te Infor­ma­ti­ons­quel­le und ent­spre­chend fliesst die­se Infor­ma­ti­on in die Wet­ten der Teil­neh­men­den auf dem Pro­gno­se­markt. Die Vor­her­sa­gen zu den Natio­nal­rats­wah­len, für die es eini­ge Umfra­gen gibt, kann daher als eine Art Inter­pre­ta­ti­on der Umfra­ge­wer­te betrach­tet wer­den. Bei den Stän­de­rats­wah­len sieht das anders aus. Hier gibt es nicht nur weni­ge Umfra­gen, die­se sind für das Wahl­er­geb­nis auch weni­ger aus­sa­ge­kräf­tig. Denn bei den Wah­len ins „Stöck­li“ dürf­te es in vie­len Kan­to­nen zu einem zwei­ten Wahl­gang kom­men. Dann spielt eine gros­se Rol­le, wel­che Kan­di­die­ren­den sich zurück­zie­hen und auf wel­che der aus­sichts­rei­chen Kan­di­die­ren­den sich die Stim­men kon­zen­trie­ren. Auf dem Pro­gno­se­markt ver­su­chen die Teil­neh­men­den die­se Dyna­mik zu antizipieren.

Wel­che Vor­tei­le bie­ten Pro­gno­se­märk­te im Ver­gleich zu her­kömm­li­chen Wahl­um­fra­gen und was unter­schei­det sie?

Pro­gno­se­märk­te erstel­len Vor­her­sa­gen, Umfra­gen streng genom­men nicht. Der wich­tigs­te Vor­teil von Pro­gno­se­märk­ten ist, dass sie auf vie­le Fra­gen ange­wen­det wer­den kön­nen, für die es kei­ne Umfra­gen gibt (wie bei Stän­de­rats­wah­len in vie­len Kan­to­nen) oder für die Umfra­gen gar nicht rele­vant sind. Das ist zum Bei­spiel für die Vor­her­sa­ge von inter­na­tio­na­len Kon­flik­ten der Fall, wofür eben­falls Pro­gno­se­märk­te ange­wen­det wer­den. Die Logik von Pro­gno­se­märk­ten ist also eine völ­lig ande­re als jene von Umfra­gen. Wäh­rend es bei Umfra­gen dar­um geht es ein reprä­sen­ta­ti­ves Mei­nungs­bild zu erstel­len, geht es bei Pro­gno­se­märk­ten dar­um, basie­rend auf bestehen­der Infor­ma­ti­on mög­lichst genaue Vor­her­sa­gen zu machen.

Wel­che Ein­schrän­kun­gen und Her­aus­for­de­run­gen tre­ten bei Pro­gno­se­märk­ten auf?

Die Qua­li­tät der Vor­her­sa­gen hängt stark davon ab, wie vie­le und rele­van­te Infor­ma­tio­nen vor­han­den sind. Auch hilft es, wenn die Teil­neh­men­den einen finan­zi­el­len Anreiz haben, damit sie die Bör­se ernst neh­men und mög­lichst gut zu han­deln ver­su­chen. Wenn man den Teil­neh­men­den aber einen Anreiz zur Ver­fü­gung stellt – bei mir erhal­ten alle Teil­neh­men­den 20 CHF Start­gut­ha­ben – dann gene­riert der Markt Kos­ten, die gedeckt sein wollen.

Und, was sagt Ihr Pro­gno­se­markt im Hin­blick auf die anste­hen­den Wah­len in der Schweiz?

Die Vor­her­sa­gen kön­nen täg­lich auf­da­tiert bei Wat­son ein­ge­se­hen wer­den. Beim Natio­nal­rat ent­spricht die Vor­her­sa­ge in etwa den Umfra­gen – Ver­lus­te bei den Grü­nen, leich­te Gewin­ne bei SVP und Die Mit­te. Bei den Stän­de­rats­wah­len sagt der Markt aktu­ell die Ver­schie­bung von 2 Sit­zen von SP/Grünen zu den bür­ger­li­chen Par­tei­en vor­aus. Dabei ist aber sehr unsi­cher, wel­che der bür­ger­li­chen Par­tei­en pro­fi­tie­ren könnte.


Oli­ver Strijbis

Oli­ver Stri­j­bis stu­dier­te an den Uni­ver­si­tä­ten Ams­ter­dam, Bolo­gna und Zürich Poli­tik­wis­sen­schaf­ten und dok­to­rier­te an der Uni­ver­si­tät St. Gal­len. Heu­te ist er Asso­cia­te Pro­fes­sor an der Fran­k­lin Uni­ver­si­ty Switz­er­land in Luga­no. Sei­ne For­schungs­in­ter­es­sen sind im Bereich der poli­ti­schen Ver­hal­tens­for­schung, Natio­na­lis­mus und Migra­ti­on. Sein Fokus liegt dane­ben auch auf den Prognosemärkten.

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Bild: unsplash.com

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