Digitale Meldeplattformen: «Klick» und die Strasse ist sauber – Wirkung auf Gesellschaft und Verwaltung

Ver­wal­tun­gen set­zen jüngst ver­mehrt auf digi­ta­le Platt­for­men, um den öffent­li­chen Raum zu bewirt­schaf­ten. Die Dis­ser­ta­ti­on von Mari­ne Ben­li-Tri­chet vom Zen­trum für Demo­kra­tie Aar­au (ZDA) unter­sucht die gesell­schaft­li­chen Aus­wir­kun­gen davon. Es zeigt sich: Die Platt­for­men bezie­hen Bürger:innen ver­mehrt mit ein. Es kön­nen aber auch uner­wünsch­te Neben­wir­kun­gen auftreten.

Das Bild und das pas­sen­de Gefühl dazu ken­nen vie­le: kaput­te Stüh­le, Graf­fi­tis, ver­las­se­ne Velos – schnell mag Ärger auf­kom­men. Damit Städ­te und Gemein­den über­haupt wis­sen, was im öffent­li­chen Raum stört, haben vie­le soge­nann­te digi­ta­le Mit­macht­ools lan­ciert. Dort kön­nen Bürger:innen Stö­ren­des digi­tal mel­den, die Ver­wal­tung kann schnel­ler han­deln. Bei der Platt­form «Züri wie neu» bei­spiels­wei­se sieht das so aus: In der Kate­go­rie Abfall/Sammelstelle gemel­det (12:56, 30. April 2024): «Seit 3 Wochen liegt hier Kat­zen­streu über das Trot­toir ver­teilt». Ant­wort (14:15, 30. April 2024): «Ent­sor­gung + Recy­cling Zürich rei­nigt den erwähn­ten öffent­li­chen Grund bis spä­tes­tens am Frei­tag 3. Mai, damit Sie die Sau­ber­keit in die­ser Stadt genies­sen kön­nen.“ Freund­li­che Grüs­se, Ihre Stadt Zürich.

Abbildung 1: In Zürich können Bürger:innen Verunreinigungen und Störendes auf «Züri wie neu» melden. Quelle: Screenshot «Züri wie neu», 21.05.2024.

Wie verändert sich die Beziehung Bürger:in – Verwaltung?

So prak­tisch wie die Anwen­dung der Platt­for­men für Bürger:innen ist, so her­aus­for­dernd kann die Bewirt­schaf­tung die­ser für eine Stadt­ver­wal­tung wer­den. Hier setzt die Dis­ser­ta­ti­on von Mari­ne Ben­li-Tri­chet an. Ihre ver­glei­chen­de Fall­stu­die unter­sucht, wel­che gesell­schafts­po­li­ti­schen Fra­gen digi­ta­le Mit­macht­ools auf­wer­fen. Mari­ne Ben­li-Tri­chet umreisst ihr Dis­ser­ta­ti­ons­pro­jekt so: «Wenn Städ­te und Gemein­den digi­ta­le Mit­macht­ools ein­füh­ren, ver­än­dert sich die Art und Wei­se, wie sich eine Ver­wal­tung um ihren öffent­li­chen Raum küm­mert. Die digi­ta­len Mel­de­platt­for­men beein­flus­sen, wer sich bei­spiels­wei­se dar­um küm­mert, dass das stö­ren­de Kat­zen­streu auf der Stras­se weg­kommt, und auf wel­chen Wegen die Infor­ma­tio­nen dazu flies­sen. Das ist eine bedeu­ten­de Ver­än­de­rung davon, wer für die Ent­de­ckung von Ver­un­rei­ni­gun­gen mit­ein­be­zo­gen ist und wie sich die ein­zel­nen Bürger:innen bei der Bewirt­schaf­tung ihrer unmit­tel­ba­ren Umge­bung ein­brin­gen können.»

Füh­ren Städ­te oder Gemein­den digi­ta­le Feh­ler­mel­de­platt­for­men ein, geschieht dies immer auch vor spe­zi­fi­schen admi­nis­tra­ti­ven Tra­di­tio­nen. So ist die Admi­nis­tra­ti­on in Frank­reich etwa aus­ge­prägt zen­tra­lis­tisch und hier­ar­chisch orga­ni­siert. Dahin­ge­gen cha­rak­te­ri­siert sich die eng­li­sche Ver­wal­tungs­tra­di­ti­on als dezen­tral, lokal ver­an­kert und prag­ma­tisch. Das wirkt sich aus. Die Stu­die von Mari­ne Ben­li-Tri­chet unter­sucht dar­um die Unter­schie­de bei der Ein­füh­rung und Anwen­dung anhand von vier Bei­spie­len in west­eu­ro­päi­schen Städ­ten. Jede Stadt reprä­sen­tiert eine typi­sche Ver­wal­tungs­tra­di­ti­on: In Bris­tol «Fix­MyS­treet», in Zürich «Züri wie neu», in Nan­tes «Nan­tes and ma Poche» und «Fel­a­n­mä­lan» in Mal­mö, Schweden.

Bevölkerung rückt näher an Verwaltung – mit Herausforderungen

Eine zen­tra­le Erkennt­nis der Stu­die ist es, dass Ver­wal­tun­gen mit der Ein­füh­rung digi­ta­ler Mit­macht­ools mehr auf die Bedürf­nis­se der Bevöl­ke­rung ein­ge­hen kön­nen. Die detail­lier­ten Ergeb­nis­se der Stu­die las­sen sich in vier Punk­ten zusammenfassen:

Die Art und Wei­se, wie eine Stadt oder Gemein­de eine digi­ta­le Feh­ler­mel­de­platt­form ein­führt, ein­setzt und bewirt­schaf­tet, ist von Stadt zu Stadt unter­schied­lich. Dies hängt bei­spiels­wei­se davon ab, ob eine Gemein­de die Platt­form selbst ent­wi­ckelt, wie etwa in Nan­tes oder Mal­mö, oder ob sie ein vor­ge­fer­tig­tes Pro­dukt ein­kauft wie in Zürich oder Bristol.

Wei­ter deu­ten die Ergeb­nis­se dar­auf hin, dass die Ein­füh­rung die­ser Platt­for­men für die Bewirt­schaf­tung des öffent­li­chen Raums Gemein­den vor uner­war­te­te struk­tu­rel­le Her­aus­for­de­run­gen stel­len kann. Zum Bei­spiel müs­sen die Platt­for­men rund um die Uhr bewirt­schaf­tet wer­den, was zu Arbeits­über­las­tung füh­ren kann. Hier zeigt sich ein mög­li­ches Dilem­ma: Die Idee, Bürger:innen bei der Bewirt­schaf­tung des öffent­li­chen Raums mit­ein­zu­be­zie­hen, kann im End­ef­fekt die Funk­ti­ons­wei­se der loka­len Ver­wal­tung beeinträchtigen.

Aus­ser­dem zeigt sich in allen vier unter­such­ten Städ­ten: Die Ein­füh­rung von Stö­rungs­mel­de­platt­for­men ver­la­gert die Ver­wal­tung der städ­ti­schen Infra­struk­tur von einem dienst­leis­tungs­ori­en­tier­ten zu einem bedarfs­ori­en­tier­ten Ansatz. Das wirkt sich auf büro­kra­ti­sche Struk­tu­ren aus, soge­nann­te Ver­wal­tungs­si­los kön­nen abge­baut wer­den. Eben­so ver­än­dert sich die beruf­li­che Iden­ti­tät von Mit­ar­bei­ten­den, wenn sie mehr Front-Desk-Auf­ga­ben über­neh­men und so näher an der Bevöl­ke­rung arbei­ten. Mari­ne Ben­li-Tri­chet deu­tet die­ses Ergeb­nis so: «Die Ver­wal­tun­gen pas­sen sich mehr und mehr der Lebens­wei­se ihrer Bevöl­ke­rung an und wer­den dienst­leis­tungs­ori­en­tier­ter. Die Bürger:innen müs­sen zum Bei­spiel nicht mehr wis­sen, an wen genau sie sich bei einem stö­ren­den Velo rich­ten müs­sen oder die Öff­nungs­zei­ten ken­nen. Sie kön­nen ihr Anlie­gen direkt per App mel­den. So wer­den die Bürger:innen direk­ter in die Gestal­tung ihrer Umwelt miteinbezogen.»

Eine mög­li­che Aus­wir­kung digi­ta­ler Mit­macht­ools ist jedoch auch, dass sich eher eine klei­ne und spe­zi­fi­sche Grup­pe Men­schen per App betei­ligt. So kann ein Ungleich­ge­wicht zwi­schen Nach­bar­schaf­ten ent­ste­hen, wenn sich eher gut gestell­te Per­so­nen mel­den, die bereits in einer ordent­li­chen Nach­bar­schaft woh­nen. Mari­ne Ben­li-Tri­chet sagt: «Die Tools ver­lie­ren ihren Hebel, wenn dort, wo eine Unter­stüt­zung aus der Bevöl­ke­rung am meis­ten nötig wäre, die Men­schen am wenigs­ten mit­ma­chen. So kann auch die ein­bin­den­de Wir­kung zwi­schen Bevöl­ke­rung und Ver­wal­tung nicht entstehen.»


Die­ser Bei­trag beruht auf der fol­gen­den Dissertation:

  • Ben­li-Tri­chet, Mari­ne. From Screens to Streets: Under­stan­ding the Impact of Digi­tal Fault Repor­ting Plat­forms on Urban Gover­nan­ce in Con­tem­pora­ry Wes­tern Euro­pe. 2023, Uni­ver­si­ty of Zurich, Phi­lo­so­phi­sche Fakultät.

Zur Medi­en­mit­tei­lung des Zen­trums für Demo­kra­tie Aarau

Über das ZDA

Das Zen­trum für Demo­kra­tie Aar­au ist ein wis­sen­schaft­li­ches For­schungs­zen­trum, das von der Uni­ver­si­tät Zürich, der Fach­hoch­schu­le Nord­west­schweiz, vom Kan­ton Aar­gau und von der Stadt Aar­au getra­gen wird. Es betreibt Grund­la­gen­for­schung und befasst sich mit aktu­el­len Fra­gen zur Demo­kra­tie – regio­nal, in der Schweiz und weltweit.

Bild: unsplash.com

image_pdfimage_print