Wahlen 2023: SVP gewann wegen der Sorge um Zuwanderung, SP profitierte von früheren Grünen-Wählenden

Der SVP gelang es dank der ver­brei­te­ten Sor­gen um Zuwan­de­rung und Asyl, ihre Stamm­wäh­ler­schaft von 2019 zu mobi­li­sie­ren und frü­he­re FDP-Wäh­len­de von sich zu über­zeu­gen. Die SP pro­fi­tier­te davon, dass mehr als ein Vier­tel der Wäh­ler­schaft der Grü­nen von 2019 zur SP wech­sel­ten. Die SP konn­te ihren Wäh­ler­an­teil ins­be­son­de­re bei den unter 25-Jäh­ri­gen auf Kos­ten der Grü­nen und Grün­li­be­ra­len aus­bau­en. Das Wäh­ler­po­ten­zi­al der FDP ging wei­ter zurück, wäh­rend die neu gegrün­de­te Mit­te-Par­tei nicht nur von der Unter­stüt­zung frü­he­rer CVP- und BDP-Wäh­len­der pro­fi­tier­te, son­dern auch von Wech­sel­wäh­len­den von links und rechts. Dies zeigt der neus­te Ana­ly­se­be­richt der Schwei­zer Wahl­stu­die Selects, die vom Schwei­ze­ri­schen Natio­nal­fonds geför­dert und von FORS in Lau­sanne durch­ge­führt wird.

Die SVP und SP gin­gen nach ihren Ver­lus­ten von 2019 als Sie­ge­rin­nen aus den eid­ge­nös­si­schen Wah­len 2023 her­vor, wäh­rend die öko­lo­gi­schen Par­tei­en ihren Wahl­er­folg von 2019 nicht zu bestä­ti­gen ver­moch­ten und Wäh­ler­an­tei­le einbüssten.

Die neus­te Aus­ga­be der Schwei­zer Wahl­stu­die Selects, die seit 1995 das Wahl­ver­hal­ten der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger bei eid­ge­nös­si­schen Wah­len erforscht, zeigt: Dem rech­ten Lager gelang es bei den Wah­len 2023 bes­ser als vor vier Jah­ren, sei­ne Basis zur Wahl­teil­nah­me zu bewe­gen. Die Wahl­be­tei­li­gung von Per­so­nen, die sich poli­tisch im rech­ten Spek­trum posi­tio­nie­ren, lag bei 55 Pro­zent, gegen­über 49 Pro­zent vor vier Jah­ren. Ins­be­son­de­re die SVP konn­te ihre Stamm­wäh­ler­schaft erfolg­reich mobi­li­sie­ren. Knapp 90 Pro­zent jener, die 2019 der SVP ihre Stim­me gaben und sich 2023 an den Wah­len betei­lig­ten, wähl­ten wie­der­um SVP.

Dar­über hin­aus über­zeug­te die SVP auch Tei­le der FDP- und CVP/BDP-Wäh­len­den von 2019: 14 Pro­zent der FDP-Wäh­len­den und 7 Pro­zent der CVP/BDP-Wäh­len­den von 2019, die 2023 an den Wah­len teil­nah­men, wähl­ten dies­mal SVP. Dabei pro­fi­tier­te die SVP davon, dass sich ihre Kern­the­men Zuwan­de­rung und Asyl im Ver­lauf des Wahl­kampfs als wich­tigs­tes Pro­blem für die Wäh­ler­schaft eta­blier­ten, zuun­guns­ten von Umwelt- und Energiefragen.

Abbildung 1. Wahlentscheid 2023 nach gewählter Partei 2019 in % (nur Befragte, die 2023 gewählt haben)

Abbildung: Alix d’Agostino, DeFacto · Datenquelle: SELECTS
Verschiebungen im linken Lager

Die öko­lo­gi­schen Par­tei­en bekun­de­ten gros­se Mühe, ihre Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler von 2019 bei der Stan­ge zu hal­ten. Die Grü­nen konn­ten ledig­lich 54 Pro­zent ihrer Wäh­ler­schaft von 2019 hal­ten, die GLP 61 Pro­zent. Die Grü­nen ver­lo­ren gut einen Vier­tel ihrer Wäh­len­den von 2019 an die SP, wäh­rend sich bei der GLP die Abgän­ge nach links (zu SP und Grü­nen) und nach rechts (zu Mit­te und FDP) in etwa die Waa­ge hielten.

Ins­be­son­de­re die GLP litt unter der rück­läu­fi­gen Wahl­be­tei­li­gung der jun­gen Wäh­ler­schaft. Sie büss­te bei den 18- bis 24-Jäh­ri­gen im Ver­gleich zu 2019 am meis­ten Wäh­ler­an­tei­le ein (-5 Pro­zent­punk­te). Die SP erfuhr in die­ser Alters­klas­se ihren gröss­ten Zuwachs und stieg zusam­men mit der SVP zur wäh­ler­stärks­ten Par­tei bei den jüngs­ten Wäh­len­den auf. Der SP gelang es im Ver­gleich zu 2019 bes­ser, sich bei umwelt­af­fi­nen Wäh­ler­schich­ten als Alter­na­ti­ve zu den Grü­nen zu eta­blie­ren. Unter Per­so­nen, die Umwelt- und Ener­gie­fra­gen als poli­ti­sches Pro­blem erach­ten, zog die SP mit einem Wäh­ler­an­teil von knapp einem Vier­tel mit den Grü­nen gleich. Aus­ser­dem kam der SP bei der Mobi­li­sie­rung ihrer Basis zugu­te, dass mit der schwin­den­den Kauf­kraft und den stei­gen­den Kran­ken­kas­sen­prä­mi­en zen­tra­le The­men ihrer Kam­pa­gne wäh­rend des Wahl­kampfs an Bedeu­tung gewannen.

Mitte-Rechts im Wandel

Die FDP ver­moch­te ihren anhal­ten­den Abwärts­trend in der Wäh­ler­gunst auch 2023 nicht zu stop­pen. Sie ver­lor im Ver­lau­fe des Wahl­kampfs beträcht­li­che Wäh­ler­an­tei­le an die SVP. Ein Fünf­tel jener, die im Juli noch FDP wäh­len woll­ten, gaben im Herbst der SVP ihre Stimme.

Zudem ver­liert die FDP seit 2015 kon­ti­nu­ier­lich an Wäh­ler­po­ten­zi­al, d.h. der Anteil Wahl­be­rech­tig­ter, die sich nicht vor­stel­len kön­nen, FDP zu wäh­len, nimmt zu. Die FDP wird dabei von der neu gegrün­de­ten Mit­te-Par­tei bedrängt, die im Ver­gleich zur ehe­ma­li­gen CVP für brei­te­re Schich­ten wähl­bar gewor­den ist. Den Grund­stein für ihr gutes Abschnei­den bei den Wah­len 2023 leg­ten zwar die frü­he­ren CVP- und BDP-Wäh­len­den, die zu 82 Pro­zent Die Mit­te wähl­ten. Der Mit­te-Par­tei gelang es aber auch, zahl­rei­che Wech­sel­wäh­len­de aus bei­den poli­ti­schen Lagern für sich zu gewinnen.

Hohe Kampagnenausgaben

Die Selects-Kan­di­die­ren­den­be­fra­gung belegt, dass die Kan­di­die­ren­den in der Schweiz gros­se Sum­men für ihren per­sön­li­chen Wahl­kampf aus­ge­ben. Basie­rend auf der Selbst­de­kla­ra­ti­on der Kan­di­die­ren­den belie­fen sich 2023 die durch­schnitt­li­chen Aus­ga­ben pro Kan­di­da­tur auf knapp 5500 Fran­ken, wobei ein Vier­tel der Kan­di­die­ren­den kei­ne finan­zi­el­len Mit­tel in ihren eige­nen Wahl­kampf steckten.

Kan­di­da­ten ver­füg­ten mit fast 6000 Fran­ken über mehr Mit­tel als Kan­di­da­tin­nen mit rund 4300 Fran­ken, wäh­rend die Wahl­kampf­aus­ga­ben der Gewähl­ten mit durch­schnitt­lich gut 51’000 Fran­ken jene der Nicht-Gewähl­ten (3900 Fran­ken) um ein Viel­fa­ches über­tra­fen. Das höchs­te Durch­schnitts­bud­get ergibt sich für Kan­di­die­ren­de der SVP mit rund 12’000 Fran­ken, gefolgt von der FDP mit knapp 11’000 Fran­ken, wäh­rend Kan­di­die­ren­de der Mit­te und der SP über weni­ger als 5000 Fran­ken ver­füg­ten, jene der öko­lo­gi­schen Par­tei­en über weni­ger als 4000 Fran­ken. Hoch­ge­rech­net auf alle Kan­di­die­ren­den belie­fen sich die Wahl­kampf­aus­ga­ben auf ins­ge­samt 32,5 Mil­lio­nen, wobei ein Fünf­tel aus Bei­trä­gen der Par­tei­en stamm­ten und je rund 40 Pro­zent aus Spen­den bzw. Eigen­mit­teln der Kandidierenden.

Abbildung 2. Wahlabsicht im Juni/Juli und tatsächlich gewählte Partei (in %, nur Wählende)

Abbildung: Alix d’Agostino, DeFacto · Datenquelle: SELECTS
Elite-Basis Konflikt

Der Ver­gleich der poli­ti­schen Posi­tio­nen zwi­schen Kan­di­die­ren­den und ihre Wäh­ler­schaf­ten zeigt, dass die Kan­di­die­ren­den von SP und Grü­nen mar­kant wei­ter links ste­hen als ihre Wäh­len­den, wäh­rend sich die Kan­di­die­ren­den von FDP und SVP rechts von ihren Anhän­ger­schaf­ten posi­tio­nie­ren. Die Pola­ri­sie­rung ist damit unter den Kan­di­die­ren­den stär­ker als in der Wählerschaft.

Bei den Posi­tio­nen zu ver­schie­de­nen Sach­fra­gen zei­gen sich vor allem bei sozio­öko­no­mi­schen The­men Dis­kre­pan­zen im rech­ten Lager. Eine Mehr­heit der SVP- und FDP-Kan­di­die­ren­den befür­wor­tet eine Erhö­hung des Ren­ten­al­ters, ihre Wäh­ler­schaf­ten leh­nen die­se hin­ge­gen deut­lich ab. Umge­kehrt spricht sich eine Mehr­heit des FDP- und SVP-Elek­to­rats im Gegen­satz zu den Kan­di­die­ren­den für einen Min­dest­lohn von 4000 Fran­ken für eine Voll­zeit­stel­le aus.

Die Schwei­zer Wahl­stu­die Selects
Die Schwei­zer Wahl­stu­die Selects unter­sucht seit 1995 die Wahl­teil­nah­me und das Wahl­ver­hal­ten bei eid­ge­nös­si­schen Wah­len. Zu einem bes­se­ren Ver­ständ­nis von Mei­nungs­bil­dung und Wahl­ent­scheid der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger wer­den auch Daten zur Medi­en­be­richt­erstat­tung und den Kam­pa­gnen­ak­ti­vi­tä­ten der Kan­di­die­ren­den erho­ben. Selects wird vom Schwei­ze­ri­schen Natio­nal­fonds (SNF) geför­dert und von FORS in Lau­sanne durchgeführt.

 

Daten­grund­la­ge

Im Rah­men von Selects wur­den zu den eid­ge­nös­si­schen Wah­len 2023 umfang­rei­che Erhe­bun­gen durchgeführt:

  • Nach­wahl­be­fra­gung von 5033 Wahlberechtigten
  • Drei­ma­li­ge Befra­gung der­sel­ben Per­so­nen vor und nach den Wah­len mit zwi­schen 8000 und 5500 Wahl­be­rech­tig­ten pro Befragung
  • Befra­gung von 2527 Kan­di­da­tin­nen und Kan­di­da­ten für den Natio­nal- und Ständerat
  • Medi­en­stu­die: Inhalts­ana­ly­se von 116 Print- und Online-Medi­en (Tages- und Wochenzeitungen)

Sämt­li­che Daten­sät­ze sind bei FORS doku­men­tiert und für wis­sen­schaft­li­che Zwe­cke frei zugänglich.

Stu­di­en­be­rich­te

Tresch, Anke; Line Renn­wald Line, Lukas Laue­ner, Georg Lutz, Nur­sel Alkoç, Roma­ne Ben­ve­nuti und Oscar Maz­zo­le­ni (2024). Eid­ge­nös­si­sche Wah­len 2023. Wahl­teil­nah­me und Wahl­ent­scheid. FORS-Lau­sanne. Publi­ka­ti­on auf Deutsch (erhält­lich auch auf Fran­zö­sisch und Ita­lie­nisch) unter www.selects.ch.

Wüest, Bru­no, Roland Krell, Ron­ja Wirz und Clau­de Mei­er (2024). Selects Medi­en­ana­ly­se 2023. Der Wahl­kampf 2023 in den tra­di­tio­nel­len Medi­en. Cen­ter for Rese­arch & Methods, Hoch­schu­le für Wirt­schaft Zürich. Publi­ka­ti­on auf Deutsch hier verfügbar.

Kon­takt für Rückfragen

Anke Tresch (Pro­jekt­lei­te­rin Selects): Tel. 076 459 49 39, ankedaniela.tresch@fors.unil.ch

Bild: flickr.com

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